© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Frisch gepresst

Nordsehnsüchte. Wenn das Buch des Kulturhistorikers Bernd Brunner in der etwas fachfremden Frauenzeitschrift Brigitte als „meisterhaft“ gelobt wird, muß das kein Makel sein. Es signalisiert nur, daß seine mit dem recht abgenutzten Titel „Die Erfindung des Nordens“ versehene geistesgeschichtliche Revue sich einem breiten Publikum zu empfehlen weiß. Diesen populärwissenschaftlichen Ansatz hält Brunner in 29 häppchenartig knappen Kapiteln durch, die von antiken Vorstellungen über die „links vom Sonnenaufgang“ liegenden nördlichen Gefilde, über die sagenhaften Berichte zu Thule und Atlantis, in raschen Erzählschritten zu Herder, zum Ossian-Kult und zur romantischen Nordsehnsucht des Barons de la Motte Fouqué eilen. Von da geht es fort zu dem von Prähistorikern und Anthropologen wissenschaftlich, von Richard Wagner künstlerisch befeuerten deutschen Germanenmythos des 19. Jahrhunderts, bis schließlich zum rassenideologisch unterfütterten „Nordischen Gedanken“ eines Hans F. K. Günther und den Norwegen-Fahrten der „Kraft durch Freude“-Flotte im Dritten Reich. Brunner bereitet den Stoff bei aller Sprunghaftigkeit sehr unterhaltsam auf, was manchen Leser anregen dürfte, sich in die zum Verständnis der deutschen Mentalitätsgeschichte unabdingbare Materie in der Fachliteratur zu vertiefen. (wm)

Bernd Brunner: Die Erfindung des Nordens. Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung, Verlg Galiani, Berlin 2019, gebunden, 318 Seiten, Abbildungen, 24 Euro





Libertär. Peter J. Preusse bietet in dem Kaplaken-Band „Bürger zweier Welten“ an, „über eine andersartige Verfaßtheit einer staatsfreien Gesellschaft recht konkret nachzudenken“. Im Spannungsfeld des Konservativismus sind jedoch gesellschaftliche Konstrukte immer auf bestimmte Werte nationalstaatlicher Modelle fixiert. Gegenmodelle mögen durchaus effizient sein und einem klassisch-liberalen Ideal genügen. In der globalisierten Warengesellschaft sind die Rückkehr des Irrationalen, der Alptraum chaotischer „Vielfältigkeit“ und der Abweg in die staatsfreie Gesellschaft aber nur durch ein etatistisches Bezugssystem zu steuern, „denn Recht in seiner Unmittelbarkeit ist Eigentum“ (Hegel). Besonders in Zeiten des Krisenbewußtseins trifft dies nicht nur auf die vereinzelt Einzelnen, sondern erst recht auf die Kollektivsubjekte des warenproduzierenden Systems zu. (W.O.)

Peter J. Preusse: Bürger zweier Welten. Ein libertärer Entwurf. Verlag Antaios, Schnellroda 2019, gebunden, 95 Seiten, 8,50 Euro