© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Mohralische Einwände
Schildersturm: Um die Benennung einer U-Bahn-Haltestelle hat sich eine bizarre Posse entsponnen / Fallstricke der „Political Correctness“
Peter Möller

Die Mohrenstraße in Berlin ist in den vergangenen Jahren immer mal wieder umbenannt worden. Wenn irgend­ein Spaßvogel mit einem schwarzen Stift die seiner Meinung nach fehlenden Umlautpunkte auf dem o ergänzt hatte, war für einige Tage oder gar Wochen auf dem betroffenen Straßenschild „Möhrenstraße“ zu lesen.

Doch seitdem im Gefolge des Todes des Amerikaners George Floyd die weltweite Debatte über Rassismus auch Deutschland erfaßt hat, ist der Spaß endgültig vorbei und die Diskussion über die Mohrenstraße voll entbrannt. Denn einige Aktivisten behaupten, daß schwarze oder farbige Menschen durch den Namen der Straße, der ein Ausdruck des in Deutschland herrschenden Rassismus sei, traumatisiert würden. Um Fakten geht es ihnen dabei allerdings nicht. Denn Ursprung für die Benennung der Straße in Berlin Mitte vor mehr als 300 Jahren war vermutlich der Besuch einer afrikanischen Delegation von Stammesfürsten im Jahr 1684 im Kurfürstentum Brandenburg. Zu Ehren der Gäste und zur Erinnerung an den, für damalige Zeiten durchaus ungewöhnlichen Besuch, erhielt die Straße, in der die Afrikaner während ihres Besuches gewohnt hatten, ihren Namen. Denn Mohr war damals die gängige Bezeichnung für Afrikaner.

„Richtig in unserer vielfältigen Metropole“

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die immer wieder durch effektvolle Werbekampagnen von sich reden machen, erkannten dennoch ihre Chance und verkündeten Anfang Juli, die U-Bahnstation Mohrenstraße demnächst nach dem russischen Komponisten Glinka zu benennen, nach dem seit 1951 eine angrenzende Straße benannt ist. „Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab“, hieß es zur Begründung der Entscheidung, die den Streit um die Mohrenstraße endgültig zum Politikum machte.

Die Aufsichtsratsvorsitzende der BVG, Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grüne), nutzte die Entscheidung der Verkehrsbetriebe, an der sie mutmaßlich nicht ganz unbeteiligt gewesen ist, sogleich für ein politisches Statement: „Mit der Umbennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße in Glinkastraße setzt die BVG ein klares Zeichen gegen Diskriminierung, genau richtig in unserer internationalen und vielfältigen Metropole“, ließ sie über Twitter wissen. Wenige Tage später klang die Senatorin allerdings schon wieder wesentlich zurückhaltender. „Schnellschüsse sind in solchen Angelegenheiten nicht angebracht“, sagte Pop plötzlich mit Blick auf die Umbenennung der U-Bahnstation und wollte sich nicht mehr auf den Namen Glinka festlegen lassen. Was war passiert?

Nach der Ankündigung der BVG stellte sich schnell heraus, daß der Name Glinka offenbar nicht die beste Wahl war. Denn der russische Komponist Michail Iwanowitsch Glinka (1804–1857), der in Berlin in der 1951 nach ihm benannten Straße gestorben ist, soll Antisemit gewesen sein. „So handelt eines von Glinkas berühmtesten Werken („Fürst Cholmskij“) von einer jüdischen Verschwörung, die sich mit dem Feind verbündet und gegen das russische Reich intrigiert“, berichtete die Bild-Zeitung. Zudem soll Glinka einen jüdischen Bekannten abwertend als „ungeduldigen Juden“ bezeichnet haben. Der renommierte Musikwissenschaftler Richard Taruskin habe Glinka in der New York Times bereits 1997 als „judophob“ bezeichnet. Damit war der Name Glinka praktisch wieder vom Tisch, auch wenn die BVG verkündete, noch sei keine endgültige Entscheidung gefallen.

Berlin steht mit seiner Diskussion über den Begriff Mohr nicht allein. Derzeit gibt es nach einer Zählung der Wochenzeitung Die Zeit noch rund 60 Mohrenstraßen in Deutschland. Hinzu kommen zahlreiche Apotheken und Gaststätten, die den Begriff „Mohr“ im Namen tragen.

Mittlerweile haben Aktivisten einen Vorschlag für einen neuen Namen für die Berliner Mohrenstraße vorgelegt: Nach den Vorstellungen von „zehn afrodiasporischen und solidarischen Vereinen und Verbänden des Bündnisses Decolonize Berlin e.V“ könnte die Straße schon bald nach Anton Wilhelm Amo benannt werden. Der 1703 im heutigen Ghana geborene Amo gilt als erster afrikanischer Philosoph und Rechtswissenschaftler in Deutschland. Für die Aktivisten ist Amo daher genau der Richtige, „um in Berlin-Mitte ein bundesweit und international sichtbares Zeichen gegen Kolonialrassismus im öffentlichen Raum und für die überfällige Ehrung von Schwarzen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte zu setzen“, heißt es in einer Mitteilung.

Doch auch dieser potentielle Namensgeber droht, sich in den Fallstricken der Political Correctness zu verheddern: Amos 1729 veröffentlichtes erstes wissenschaftliches Werk trägt ausgerechnet den Titel „Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa“.