© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Erfolgreicher Börsengang des Online-Versicherers Lemonade
Etwas für Andersdenkende
Thomas Kirchner

Vor Beginn der atlantischen Wirbelsturmsaison kann der Tokioter Softbank-Konzern mit dem Lemonade-Börsengang endlich einen Erfolg verbuchen: Der Börsenkurs des 2015 gegründeten Sachversicherers konnte sich in der ersten Woche fast verdreifachen, nachdem der Emissionskurs bereits von 26 auf 29 Dollar pro Aktie angehoben worden war. Auf 4,6 Milliarden Dollar wird das Unternehmen bewertet, das im ersten Quartal einen Verlust von 36 Millionen Dollar auf einen Umsatz von 26 Millionen verbuchte. Für jeden Dollar Prämieneinnahme zahlte es voriges Jahr 94 Cent drauf.

Nur wenige Versicherungsneugründungen haben Erfolg, denn sie müssen entweder von anderen gemiedene Hochrisikogruppen versichern oder die Etablierten preislich unterbieten. Beides ist riskant. Lemonade versucht sich als Online-Billiganbieter: „Alles im Nu. Dufte Preise. Großes Herz“, heißt es in der deutschen Werbung zur „Hausrat und Privathaftpflicht für Andersdenkende“. Ob Lemonade damit langfristig erfolgreicher sein wird als das Softbank-Wunderkind WeWork mit dem Umkrempeln der Vermietung von Büroflächen ist zweifelhaft. Auch mit ihrem Wirecard-Engagement (JF 29/30) verbrannten die Japaner enormes Kapital.

Die „Police 2.0“ ist nur ein kurzfristiger Vorteil, denn etablierte Versicherer können nachziehen. Die Behauptung, mit weniger Kapital auszukommen, ist Augenwischerei: Das wird von der Aufsicht festgelegt. Lemonade lagert das Kapital lediglich an Rückversicherungen aus, deren Kapitalkosten sich in den Prämien verstecken. Die große Hoffnung sind niedrigere Versicherungsschäden, indem es Kunden via Verhaltenspsychologie ermutigt, weniger betrügerische Ansprüche geltend zu machen. Zehn Prozent aller US-Schadensmeldungen sind übertrieben bis erfunden. Ein Viertel der Versicherten hält Versicherungsbetrug für akzeptabel. Nur: Sollte Lemonades Psychologie funktionieren, werden große Versicherer Lemonade schnell übertrumpfen, denn deren Mathematiker verfügen über weit umfangreichere Datensätze. Außerdem gibt es mindestens zwei weitere große Neugründungen, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen.

Wie lange sich die Kursgewinne halten werden, ist die große Frage. Die schwerste Sturmsaison seit 2005 wird für diesen Sommer vorhergesagt. Bis zu 20 Wirbelstürme, davon drei bis fünf schwere, soll es geben. Lemonade spezialisiert sich in den USA auf Gebäude- und Hausratversicherungen. Trifft ein Sturm auf eine Ostküstenmetropole, wird es teuer für den Neuankömmling. Der einzige Lichtblick: 61 Prozent der Policen sind in Kalifornien, New York und Texas, wovon nur letzteres im Gefahrengebiet liegt. Die beim Börsengang eingesammelten 320 Millionen müßten für Sturmschäden reichen. Dann bleibt aber nicht viel übrig für laufende Verluste.