© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Prinz Asfa-Wossen Asserate auf die Frage, wie er sich die Bilderstürmerei der „Black Lives Matter“-Aktivisten erkläre: „Bildungsmangel.“

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Widerspruch in sich A: Es gibt im Angelsächsischen den Begriff cancel culture, der sich auf die Untugend bezieht, alle möglichen nicht genehmen Auffassungen aus der öffentlichen Debatte zu verbannen oder sogar gewaltsam gegen ihre Vertreter vorzugehen. Daß das immer im Namen einer aufgeklärten, toleranten und auf Diversität setzenden – kurz: liberalen – Ideologie geschieht, macht die Sache nicht besser. Bleibt die Frage, warum Liberale (rühmliche Ausnahmen zugegeben) so selten etwas gegen die neuen Obskurantisten, Inquisitoren, Blockwarte unternehmen. Die Antwort: Weil Liberale diese Welt heraufbeschworen und gemacht haben und es ihnen an etwas fehlt, das Goethe „Liberalität“ genannt hat.

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Widerspruch in sich B: Man erfährt aus der Presse, daß der Bund die Presse in Zukunft mit 220 Millionen Euro stützen werde, um solchermaßen „Vielfalt“ zu fördern.

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Zu der Initiative prominenter Linker angesichts des repressiven Meinungsklimas paßt das Diktum des Rassisten Churchill: „Jeder füttert das Krokodil in der Hoffnung, daß es ihn als letzten fressen wird.“

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Ein Sachverhalt, der angesichts der Rabiatheit und Selbstgerechtigkeit jugendlicher Demonstranten immer wieder auffällt, ist nicht nur die „objektlose Aufsässigkeit“, von der Arnold Gehlen sprach, sondern auch, daß hier die Erziehungsverweigerung gegenüber einer ganzen Generation ihren Niederschlag findet.

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Die Genugtuung, mit der die Beseitigung der Hakenkreuze aus den Emblemen der finnischen Luftwaffe quittiert wurde, hat in erster Linie mit Differenzierungsunlust zu tun. Man kann Verständnis dafür aufbringen, daß es Helsinki leid ist, dauernd zu wiederholen, daß die Symbole nichts mit Hitler zu tun haben, weil bei den meisten das Ansichtigwerden einen Pawlowschen Reflex auslöst. Es interessiert jedenfalls keinen, daß das Hakenkreuz nach dem Ersten Weltkrieg abgesehen von Finnland nur im Baltikum und Ostmitteleuropa – vor allem Polen und die Ukraine – auf eine noch vitale Tradition zurückgeführt werden konnte, und am anderen Ende Europas im Baskenland. In allen diesen Ländern haben neugegründete Staaten (die lettische Luftwaffe verwendete ein rotes Hakenkreuz als Hoheitszeichen, unter den Emblemen der polnischen Armee waren zahlreiche in Hakenkreuzform) oder Bewegungen, die auf Autonomie aus waren (das gilt in erster Linie für den baskischen Nationalismus) auf das Hakenkreuz zurückgegriffen, das zum Bestand ihrer Folklore gehörte. In der Regel gab es weder eine präzise Bezeichnung noch eine präzise Vorstellung, schon gar keine, daß es sich um das „arische Leitfossil“ (Carus Sterne/Ernst Krause) handeln könnte.

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„Immer öfter verweigern lesbische Frauen, die mit schwulen Männern ein Kind gezeugt haben, diesen biologischen Vätern danach den Umgang mit ihren Kindern. Und die Politik will ihnen nun sogar noch den Rücken stärken.“ Thema einer ganzen Druckseite in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 12. Juli.

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Immerhin hat der BLM-Furor sein Interesse auch schon Karl Marx zugewendet – wegen dessen abfälliger Bemerkungen über Schwarze und Juden –, aber wie steht es eigentlich mit der Untersuchung von Liebknecht, Luxemburg, Zetkin, Thälmann. Meine Mutmaßung geht dahin, daß sich bestimmt auch bei denen irgend­etwas in Richtung „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ finden läßt. Man könnte die günstige Gelegenheit nutzen, um ein paar Schandflecke im Hinblick auf unsere Straßen-, Platz- und Uferbezeichnungen loszuwerden.

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„Wer ein Narrativ durchsetzen kann, das ihn als Opfer etabliert, erwirbt damit einen Anspruch auf Wiedergutmachung, den er allerdings auch nur um den Preis einlösen kann, daß er sich als Opfer präsentiert und es nicht als eine eigene, sondern als Aufgabe der Privilegierten betrachtet, Benachteiligungen auszugleichen. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Wer sich umgekehrt als Schuldigen versteht und die Wissenschaft als imaginäre Wiedergutmachung praktiziert, kann sich davon ent-schulden, indem er Selbstkritik an seiner kulturellen Identität (weiß, schwarz, Mann usw.) übt. Darüber hinaus beweist er sogar besondere Tugendhaftigkeit, denn die Schuld, zu der er sich bekennt, ist ja nicht die eigene, sondern die eines Kollektivs, dem er sich aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Klassenzugehörigkeit zurechnet, ohne dafür etwas zu können. So findet ein Tauschgeschäft statt: (abhängige) Macht gegen Schuldablaß und moralische Läuterung bzw. moralische Selbstoptimierung.“ (Maria-Sibylla Lotter, Professorin für Ethik und Ästhetik an der Ruhr-Universität Bochum)


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. August in der JF-Ausgabe 33/20.