© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Schluß mit der Freiwilligkeit
Lieferkettengesetz: Deutsche Unternehmen sollen künftig für Verfehlungen der Zulieferbetriebe haftbar gemacht werden
Ronald Berthold

Bremst die Bundesregierung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weiter aus? Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollen noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz erlassen, das Unternehmen für Mißstände in ausländischen Zulieferbetrieben haftbar macht. In einer Befragung hätten hiesige Unternehmen gezeigt, daß sie nicht genug gegen Ungerechtigkeiten auf anderen Kontinenten unternehmen. Daher reiche Freiwilligkeit nicht aus – jetzt müsse Zwang her, so die Kabinettsmitglieder. 7.000 Betriebe ab 500 Arbeitsplätzen sind betroffen.

AfD-Politiker Frohnmaier kritisiert die Bestrebungen

Das neue Lieferkettengesetz soll sie dazu verpflichten, bei ihren Bestellungen und Produktionen im Ausland den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt sowie den Arbeitsschutz einzuhalten – dehnbare Begriffe. Die Wirtschaft habe ihre Chance gehabt, aber „vergeigt“, wie die FAZ die Auffassungen von Müller und Heil wiedergibt. Kern des Gesetzes ist, daß Unternehmen für „Beeinträchtigungen haften, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar“ gewesen wären. Diese Haftung für Zustände in anderen Ländern bedeutet hohe finanzielle Risiken.

Während Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine „europäische Lösung“ anregt und sich damit vorsichtig gegen seine Kabinettskollegen stellt, bekommen diese Unterstützung von der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Sorgfaltspflicht statt Selbstverpflichtung ist der richtige Weg“, meint deren Chef Uwe Schummer: „Wir brauchen ein Lieferkettengesetz jetzt.“ Den Unions-Abgeordneten springt neben den Grünen auch die Linke bei. Parlamentarierin Eva-Maria Schreiber betont: „Die Wirtschaft schafft es nicht von allein, menschenrechtliche Prinzipien durchzusetzen, um die Förderung von Rohstoffen oder Produktion von Kleidung angemessen zu überwachen.“

Altmaier hält vorerst dagegen, ohne sich direkt gegen das Gesetz auszusprechen: „Wir werden genau prüfen, welche Lücken es gibt und wie wir unsere deutsche Ratspräsidentschaft nutzen können, um EU-weit zu einer verantwortungsvollen Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten zu kommen.“ Ansonsten fürchtet er „Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU“. Die deutsche Wirtschaft ächzt bereits unter den höchsten Energiepreisen und Steuersätzen in Europa. Demnächst kommen die CO2-Abgaben hinzu. „Zusätzliche Belastungen“ für deutsche Unternehmen sollten vermieden werden, so Altmaier.

Von der FDP ist wenig zu hören. Bisher hat sie lediglich Angela Merkel gelobt, als diese im März Müllers Vorstoß etwas bremste. Nun hat das Kanzleramt aber offenbar grünes Licht gegeben. Massiver Widerstand kommt aus der AfD-Fraktion, die bereits seit Monaten versucht, mit parlamentarischen Anfragen auf die Problematik hinzuweisen: „Es irritiert, daß eine Bundesregierung, die sonst überall den Multilateralismus beschwört, ausgerechnet im Bereich des internationalen Handels nun einen nationalen Alleingang machen will“, kritisiert etwa der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier, Mitglied im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der zusätzliche bürokratische Aufwand durch neue Dokumentations- und Prüfmechanismen, die Wertschöpfungsnetze in der ganzen Welt abdecken sollen, führe „zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen“ deutscher Unternehmen. „Große Unternehmen wie beispielsweise in der Automobilindustrie greifen auf teils Tausende Zulieferer und Subzulieferer zurück, für die sie plötzlich haftbar gemacht werden könnten.“ Dem ohnehin angeschlagenen Wirtschaftsstandort Deutschland drohe durch das Lieferkettengesetz der „Todesstoß“.

Laut dem ersten Monitoring der Bundesregierung im vergangenen Herbst hätten lediglich 18 Prozent der befragten Unternehmen die Vorgaben für einen sogenannten fairen Handel eingehalten. Der nun erfolgte zweite Durchgang würde die Ergebnisse bestätigen, verkündeten nun die Minister Müller und Heil. Wenngleich nur jeder fünfte von 2.250 angeschriebenen Betrieben „verwertbare“ Antworten abgegeben habe.

Die Replik des Verbandes der Textil- und Modeindustrie wirft dagegen ein zweifelhaftes Licht auf die Methoden der Minister. Geschäftsführer Uwe Mazura fühlt sich von Heil und Müller ausgetrickst. Die beiden hätten es von Beginn an auf ein Scheitern der Befragung angelegt, um ihr Gesetz durchzudrücken. Hunderte E-Mails seien beim ersten Durchgang falsch adressiert gewesen, so daß Antworten gar nicht möglich gewesen seien. Die zweite Runde habe während des Corona-Lockdowns stattgefunden, als die Unternehmen wegen der Existenznöte andere Sorgen hatten: „Zusammengebrochene Lieferketten, Kurzarbeit, Umsatzeinbrüche von 80 Prozent und mehr bestimmen seither den Alltag.“

Hintergrund: Im Koalitionsvertrag heißt es, ein Lieferkettengesetz komme nur dann, falls eine Überprüfung ergebe, daß eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft nicht ausreiche, um menschenrechtliche Standards zu gewährleisten. Diese Bedingung sehen die Minister nun erfüllt. Sie stehen damit im Einklang mit 103 NGOs, die sich zur „Initiative Lieferkettengesetz“ zusammengeschlossen haben und massive Lobbyarbeit betreiben. Darunter sind linke und feministische Vereine wie Attac, Deutsche Umwelthilfe, Oxfam, GermanWatch, FemNet, zahlreiche Bistümer, Landeskirchen sowie DGB und Verdi. Sie unterstellen der deutschen Wirtschaft „skrupellose Geschäftspraktiken“ und fordern „klare Haftungsregeln“ für die Unternehmen. 

Das spielt vor allem Gerd Müller, der sich als personifizierte Interessenvertretung der Dritten Welt im Merkel-Kabinett versteht, in die Karten. Der CSU-Politiker spricht von „Sklaven“, die für die deutschen Verbraucher arbeiteten, drückt aufs Gaspedal und will unbedingt sofort handeln: „Zur Verwirklichung von Menschenrechtsstandards, die entlang der Lieferketten Kinderarbeit ausschließen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards sichern, brauchen wir jetzt einen gesetzlichen Rahmen.“ Etwas diplomatischer, ohne sich jedoch in der Sache von Müller zu unterscheiden, drückt sich der Sozialdemokrat Heil aus: „Das Lieferkettengesetz wird nur verlangen, was machbar und verhältnismäßig ist.“ Es schaffe Rechtssicherheit für die Unternehmen. 

Gesetz fußt auf Beschluß des UN-Menschenrechtsrats 

Genau diese Rechtssicherheit bezweifelt Verbandsgeschäftsführer Mazura. An folgendem Beispiel macht er das deutlich: Selbst ein Mittelständler, der in Deutschland – nicht im Ausland – Hemden oder Kopfkissen produziere, hafte dann nicht nur für die Knöpfe, die er aus Taiwan beziehe, sondern auch für den Transport der Biobaumwolle aus der indischen Spinnerei. Das Gesetz sei daher kontraproduktiv für Müllers permanent verkündete Leitsätze: „Wer möchte noch dem Ruf des Entwicklungsministers folgen, Handel oder gar Investitionen in Entwicklungsländern voranzutreiben, wenn er auf die Risiken blickt?“

Diese Befürchtungen teilt auch AfD-Politiker Frohnmaier: „Überall dort, wo eine Restunsicherheit über Produktionsbedingungen herrscht oder wo Zulieferer nicht die Fülle an verlangten Informationen zur Verfügung stellen, müßten sich Unternehmen fortan zurückziehen.“ Davon hätten auch die Produktionsländer nichts. „Dort gehen Arbeitsplätze und Absatzmärkte verloren, wenn sich deutsche Unternehmen aus Sorge vor dem Dokumentationsaufwand und möglicher Sanktionierung zurückziehen.“

Das geplante Gesetz, das laut Entwicklungsminister Müller „die Ausbeutung von Mensch und Natur“ im Ausland stoppen solle, fußt auf dem „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ der Bundesregierung von 2016, der wiederum auf einen Beschluß des UN-Menschenrechtsrates zurückgeht. Laut dem vier Jahre alten Aktionsplan der Großen Koalition müssen deutsche Unternehmen darauf hinwirken, daß Tochterfirmen, Lieferanten und Sublieferanten grundlegende Standards einhalten. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die Betriebe Abhilfe schaffen. Heißt in der Regel: Sie dürfen nicht mehr kooperieren, sonst werden sie bestraft.

Das wollen die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Deutsche Industrie- und Handelskammer sowie der Handelsverband Deutschland nicht hinnehmen. Sie lehnen es ab, „für das Verhalten Dritter in Haftung genommen“ zu werden, auf die sie gar keinen direkten Zugriff hätten. Das widerspreche den Regeln der Vereinten Nationen, auf die sich Heil und Müller beziehen. Denn die UN haben, so die Wirtschaftsverbände, eine Haftung allein wegen der „Existenz von Geschäftsbeziehungen“ ausdrücklich ausgeschlossen.