© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

„Erst wenn’s fehlt, fällt’s auf“
Pharmaindustrie: Der internationale Handel mit Blut und Blutprodukten bleibt ein lukratives Geschäft
Paul Leonhard

Graf Dracula ist beim Deutschen Roten Kreuz zu neuen Ehren gekommen. Auf der Jagd nach Freiwilligen organisieren die Blutspendedienste seit 2004 um den 14. Juni herum, den Weltblutspendetag, sogenannte Vampirnachmittage. Das halten die DRK-Vorstände offenbar für trendy genug, um die junge Generation anzusprechen. Der Spendetag ist eine Reminiszenz an den Medizinnobelpreisträger, Entdecker des ABO-Blutgruppensystems und des Rhesusfaktors Karl Landsteiner, der an diesem Tag im Jahr 1868 in Baden bei Wien geboren wurde.

Der Erfolg des Weltblutspendetags hielt sich auch in diesem Jahr in Grenzen. Deswegen ist die DRK-Kampagne „#missingtype – Erst wenn’s fehlt, fällt’s auf!“ weiterhin hochaktuell. Täglich werden in Deutschland etwa 14.000 Blutspenden benötigt. Die regelmäßigen Alarmmeldungen in der Urlaubszeit, bei Grippewellen oder in der gegenwärtigen Corona-Pandemie über Engpässe bei Blutkonserven lösen kaum noch Reaktionen aus. Wärend des Corona-Shutdowns im Mai sollen in der Kühlkammer des DRK-Nordost am Charité-Campus in Berlin-Steglitz lediglich noch „Vorräte für einen halben Tag“ gelegen haben, wie die zuständige DRK-Sprecherin Susanne von Rabenau gegenüber dem Sender RBB beklagte.

Schweizer Blutprodukte für 18,8 Milliarden Franken

Blutkonserven seien nicht nur in Berlin und Brandenburg, sondern in ganz Deutschland Mangelware, und das obwohl die Krankenhäuser ihre Operationen im April und Mai zurückgefahren hatten. Auch ohne Corona-Einschränkungen spenden nur noch knapp drei Prozent der Bevölkerung Blut. Um die Versorgung mit Blutpräparaten langfristig zu sichern, müßten es sechs Prozent sein. Spenden könnte nach DRK-Angaben etwa jeder dritte Bundesbürger. In der Regel sollte der Spender gesund und 18 bis 68 Jahre alt sein.

„Spende Blut, rette Leben“ – diese kurze Losung, die einst Hunderttausende Deutsche überzeugte, um jahrzehntelang die Blutspendezentren des Landes aufzusuchen, verfängt nur noch in ländlichen Regionen, wo Ehrennadeln für langjähriges Blutspenden so wichtig sind wie die Medaillen der Sportvereine oder der freiwilligen Feuerwehr. In den Groß- und Universitätsstädten sind die Zeiten längst vorbei, als die Bürger aus selbstverständlicher Solidarität und Generationen von Studenten, um ihre mageren Stipendien aufzubessern, sich zur Ader nehmen ließen. Und das hat auch ökonomische Gründe.

Mit den Aufwandsentschädigungen war es ab 1997 vorbei, als sich die EU-Staaten in einem gemeinsamen Abkommen gegen die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers aussprachen. Niemand sollte aus der Not heraus sein Blut verkaufen müssen. Fortan zahlte das Rote Kreuz kein Geld mehr. Es begnügt sich damit, den Spendern belegte Brötchen, Getränke und Spendennadeln anzubieten. Dabei ist der Handel mit Blut ein lukratives Geschäft geblieben. Draculas Schloß, um im Bild zu bleiben, liegt dabei allerdings nicht in Rumänien, sondern in der Schweiz. Die Eidgenossenschaft exportiert mehr Blutprodukte als Uhren. Mit 18,8 Milliarden Franken Einnahmen liegt die Alpenrepublik nach den USA weltweit auf dem zweiten Platz. In Deutschland liegt der Umsatz mit Blutprodukten bei jährlich etwa 500 Millionen Euro.

Verarbeitet wird aber nicht nur das Blutplasma der Schweizer Medizinunternehmen, sondern auch Importe aus Deutschland und Ungarn sowie – mit fast 70 Prozent Anteil – aus den USA. Selbst das ständig devisenklamme SED-Regime verkaufte seit Anfang der 1980er Jahre gespendetes Blut ihrer Bürger nach Bern, wo es verarbeitet und weiter nach Westdeutschland, Österreich oder Italien veräußert wurde. Das erfolgte unter strengster Geheimhaltung – ähnlich wie die klinische Prüfung von westlichen Medikamenten an unwissenden DDR-Bürgern. Organisiert wurde der Blut­deal vom DDR-Geheimhandelsbereich „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) unter Stasi-Oberst Alexander Schalck-Golodkowski. Insgesamt 115.000 Liter Blutplasma und 50.000 Einheiten Erythrozytenkonzentrat sind noch 1989 in den Westen geliefert worden.

Zahlung einer geringen Aufwandsentschädigung

Heute erhält das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) zwei Rappen (knapp zwei Cent) für einen Tropfen Blut. Das sind 170 Franken für einen 450-Milliliter-Beutel mit Blut. Abnehmer sind die Krankenhäuser, vor allem aber Pharmaunternehmen wie der amerikanisch-australische Konzern CSL Behring, der ursprünglich 1904 vom Nobelpreisträger Emil von Behring in Marburg gegründet wurde. Pharmafirmen interessieren sich insbesondere für das Blutplasma mit seinen wertvollen Wirkstoffen wie Albumin und Immunglobuline, die für die Produktion von Medikamenten wichtig sind. 64.000 Liter Plasma verkaufte das SRK 2017 an die Pharmaindustrie, die zudem noch die Preise diktiert und nur ein Fünftel der Summe bezahlt, die das Plasma den Krankenhäusern kostet.

Die Krux ist, daß das von der Transfusionsmedizin nicht abgenommene Plasma ohne die Pharmaindustrie als Sondermüll teuer entsorgt werden müßte, wie Anita Tschaggelar, Leiterin des Blutspendedienste des SRK, beklagt.

Während in der ansonsten eher marktwirtschaftlichen Eidgenossenschaft keine kommerziellen Blutspendedienste zugelassen sind, haben sich diese in Deutschland neben dem DRK und 75 staatlich-kommunalen und universitären Blutspendediensten etabliert. Diese werben wie der Leipziger Blutspendedienst Haema erfolgreich mit der Zahlung einer Aufwandsentschädigung, was sie vor allem für ärmere junge Menschen interessant macht. Gedeckt ist das durch das deutsche Transfusionsgesetz. Nach diesem kann eine Aufwandsentschädigung gewährt werden, „die sich an dem unmittelbaren Aufwand je nach Spendeart orientieren soll“. Konkret sind das meist zehn bis 28 Euro bei der Vollblut- und zwischen 25 und 40 Euro bei einer Plasma- oder Thrombozytenspende.

Obwohl das DRK weiterhin der Forderung des EU-Rates nach einer nichtbezahlten, freiwilligen und zweckfreinen Blutspende folgt und Spender lediglich mit einem Imbiß entlohnt, liegt sein Anteil bei den im Vergleich zu den Plasma- weniger lukrativen Vollblutspenden noch bei 70 Prozent. Um diesen Anteil auch ohne Kommerzialisierung des Blutes zu halten, könnte ein Blick auf andere europäische Staaten lohnenswert sein. In der Tschechei erhalten beispielsweise Blutspender von ihren Krankenkassen Gutscheine für Massagen oder Saunabesuche, in Polen gibt es Steuervergünstigungen und, wie auch in Italien, einen arbeitsfreien Tag. In Rußland werden Spender mit vergünstigten Aufenthalten in Sanatorien oder Kurorten motiviert.

Blutspendenkampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:

 blutspenden.de

 www.drk-blutspende.de