© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

„Ich erkenne Deutschland nicht wieder“
Polens Botschafter Andrzej Przylebski richtet öffentlich schwere Vorwürfe gegen die deutschen Medien, deren Berichterstattung über sein Land er ideologisch geleitet sieht. Doch der Philosophieprofessor geht noch weiter: Im Westen zerfalle die europäische Kultur
Moritz Schwarz

Exzellenz, warum haben Sie sich per Brief an die „FAZ“, „Welt“ und „Süddeutsche Zeitung“ gewandt? 

Andrzej Przylebski: Seit Jahren beobachte ich mit Staunen, was die deutschen Mainstream-Medien über mein Land schreiben. In einem polnischen Fernsehinterview sagte ich jüngst, daß auf hundert Beiträge über Polen in Ihren Medien vielleicht ein positiver kommt. Und der bezieht sich meist auf die wirtschaftliche Entwicklung oder die Wirtschaftskooperation mit Deutschland. 

Worum geht es in den negativen Beiträgen? 

Przylebski: Meist um die politische Situation in Polen. Wobei die nötigen Reformen der demokratisch gewählten und handelnden, von der PiS geführten Regierung so einseitig und meist falsch dargestellt werden, daß der Eindruck erweckt wird, in Polen geschehe Gefährliches, ja Katastrophales. Diese „Berichterstattung“ weckt die Feindschaft der deutschen Gesellschaft gegenüber Polen.

Sie meinen Antipathie – „Feindschaft“ dürfte doch wohl übertrieben sein? 

Przylebski: Nein, Feindschaft. Ich habe diesbezüglich viele Briefe deutscher Bürger erhalten. 

Zum Beispiel?

Przylebski: „Polen soll sofort aus der EU ausgeschlossen werden!“, schreiben mir oft besorgte deutsche Bürger, und beschimpfen PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski oder Staatspräsident Andrzej Duda – ohne eine Ahnung von deren intellektuellen Qualitäten zu haben. „Ausgeschlossen werden“ sollen wir wegen angeblichem Bruch der Rechtstaatlichkeit, weil wir nicht bereit sind, Pseudoflüchtlinge aufzunehmen oder weil wir die Gender-Ideologie ablehnen. Aber nicht nur die deutschen Bürger, natürlich beziehen auch Ihre Politiker Informationen über Polen aus deutschen Medien – welche andere Informationsquelle hätten sie auch sonst –, und selbstverständlich wirkt sich das auch negativ auf ihre Einstellung gegenüber Polen aus. Die deutschen Leitmedien ruinieren so unsere langjährige deutsch-polnische Versöhnungsarbeit und machen das Verstehen dessen, was in Polen geschieht, unmöglich! 

Was genau berichten deutsche Medien Ihrer Meinung nach falsch?

Przylebski: Etwa wird die destruktive Rolle, die die sogenannte „Totale Opposition“ der „Bürgerplattform“ – die Partei Donald Tusks –, spielt, nie erwähnt.

Ob Oppositionspolitik destruktiv ist oder nicht, beurteilt eben jeder anders. Es ist legitim, daß Sie als Vertreter Polens das so sehen. Aber ebenso legitim ist es, wenn Medien das anders bewerten. 

Przylebski: Ich bin kein Mitglied der PiS, aber ich sage dennoch, daß der jetzige politische Kurs und die Staatsreformen zur Überwindung des Postkommunismus beitragen – und daher für Polen unverzichtbar sind und übrigens nachweislich auch Erfolge bringen. Deshalb habe ich mich als Universitätsprofessor und anerkannter Philosoph dieser Regierung zur Verfügung gestellt. Nun aber muß ich mit Entsetzen sehen, wie in Deutschland über mein Land berichtet wird! Besonders gravierend: die Art der Berichterstattung ab März, also in den Wochen vor der geplanten polnischen Präsidentschaftswahl am 10. Mai. Dazu müssen Sie wissen, daß die Bürgerplattform, in einem Wahlbündnis mit Grünen und Liberalen, mit Malgorzata Kidawa-Blonska eine so schlechte Kandidatin aufgestellt hatte, daß sie in den Umfragen von circa dreißig auf drei Prozent fiel. Deshalb verlangte die Opposition mit Erfolg, die Wahl unter Berufung auf die Corona-Gefahr auf den 28. Juni zu verschieben – was ihr die Möglichkeit gab, den neuen Kandidaten Rafal Trzaskowski zu nominieren. Und bei all dem haben die deutschen Medien assistiert – zudem mit Argumenten, die jeder Logik entbehren! Das aber ist eine klare Einmischung in unsere internen Angelegenheiten. Deshalb auch meine Briefe an die Herausgeber beziehungsweise Chefredakteure von FAZ, Welt und Süddeutscher Zeitung. Damit die pseudoobjektiven Darstellungen, ja man muß schon sagen antipolnische Propaganda, in diesen Blättern endlich ein Ende findet und man zu rechtschaffenem Journalismus zurückfindet. 

Es mag sein, daß die Berichterstattung unfair und parteiisch war. Aber der Versuch der Einmischung einer Regierung in diese ist es doch um keinen Deut besser.

Przylebski: Moment, bitte halten Sie das auseinander: Selbstverständlich ist mediale Kritik erlaubt und sogar gewünscht! Sie sollte aber gerecht und begründet sein, nicht jedoch voreingenommen. Voreingenommene Kritik wird bei Ihnen in Deutschland genauso abgelehnt – ja von der Bundesregierung als „Fake News“ sogar gezielt bekämpft! Es ist nicht fair, wenn man dies in Deutschland für demokratisch, in Polen aber für antidemokratisch erklärt. Tatsächlich herrscht in Polen sogar viel mehr Presse- und Medienfreiheit als in Deutschland. Denn das, was die deutschen Korrespondenten in Warschau schreiben, entspricht wirklich ausschließlich der Meinung jener polnischen Medien, die den Sturz der Regierung wollen – was zeigt, wie viel schmaler das deutsche Medienspektrum ist! Zudem beschränken sich deutsche Medien nicht nur auf die demokratisch legitimierbaren Versuche: Nehmen Sie etwa den vor zwei Jahren geplanten, wegen Teilnehmermangels aber nie erfolgten Marsch von Ex-Präsident Lech Walesa nach Warschau, angesichts dessen, wie Walesa sagte, „die PiS-Funktionäre aus den Fenstern springen“ würden. Haben Sie in deutschen Medien je etwas von dieser Drohung gelesen? Ein anderes Beispiel für „gute“, angeblich „journalistische“ Arbeit deutscher Medien, das ich in Erinnerung habe: Als in Danzig zwei historische Museen fusionierten, übte einer der Direktoren heftige Kritik am Kulturminister. Deutsche Zeitungen schrieben daraufhin von einer geplanten Fälschung der Geschichte durch die PiS-Regierung. Wobei der Minister von keinem deutschen Blatt gefragt wurde, ob er nicht gute Gründe für das Vorhaben hatte. So arbeiten deutsche Medien in Polen seit fünf Jahren!   

Aber es ist doch klar, daß politische Einmischung in die Arbeit der Medien, selbst wenn sie in der Sache berechtigt sein sollten, unweigerlich zum Ende der Pressefreiheit führt: Welche Regierung würde nicht so lange intervenieren, bis die Presse ihre Politik ausschließlich lobt.

Przylebski: Begründete Kritik der Medien ist immer positiv zu bewerten! Sie dient nötigen Korrekturen, beziehungsweise stoppt negative Entwicklungen oder falsche Personalentscheidungen. Etwas anderes aber sind die Fakes, die man produziert, um politische Gewinne zu erzielen. Beispiel: In der vorletzten Woche der Präsidentschaftswahl versuchte Fakt, eine in Polen erscheinende Tageszeitung des Ringier-Axel-Springer-Verlages, auf der Titelseite Andrzej Duda Nähe zur Pädophilie und zu einem verurteilten Pädophilen zu unterstellen. Dabei habe ich schon vor etwa zwei Jahren dem Geschäftsführer des Konzerns mehr als zehn Beispiele für Fakes seiner Medien präsentiert – ohne Reaktion!

Aber welchen relevanten Einfluß sollten deutsche Medien denn auf die Verlegung der Präsidentschaftswahl haben? Das entscheiden doch allein die Polen.

Przylebski: Stimmt, doch gibt es fast zwei Millionen Polen in Deutschland, die durch die deutschen Medien ohne Zweifel beeinflußt werden. Dazu kommt, daß die Polen in der Heimat in polnischsprachigen, aber von deutschen Verlagen herausgegebenen Medien das zu lesen bekommen, was deutsche Medien in Deutschland über die angeblich „nationalistische“, „antieuropäische“ und „die Rechtsstaatlichkeit verletzende“ PiS-Regierung denken. Und das wirkt sich auf circa 45 Prozent der polnischen Wähler aus. Ohne diese Beeinflussung bekämen die antipatriotischen Kräfte in Polen zweifellos nicht mehr als zwanzig Prozent der Stimmen. Denn jeder, der durch diese Medien nicht verblendet ist, sieht klar, wie sich mein Land in den letzten Jahre entwickelt hat: Wir werden zum europäischen Tiger!  

Die Opposition beklagt genau das Gegenteil: das öffentlich-rechtliche polnische Fernsehen TVP bevorzuge Präsident Duda.

Przylebski: Das öffentliche Fernsehen hat Wahlprogramm und Leistung beider Kandidaten wahrheitsgetreu präsentiert. Es ist nicht seine Schuld, daß Herr Trzaskowski in Warschau viele Pannen hatte. 

Haben Sie denn schließlich Antwort auf Ihre Briefe erhalten? 

Przylebski: Nach längerer Zeit, ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet, schrieben Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, und Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ. Beide verteidigten ihre Berichterstattung, bezogen sich aber nur auf die zwei, drei Artikel ihrer Blätter, die ich als Negativbeispiele angeführt hatte. Mein Anliegen war jedoch ein anderes, nämlich darauf aufmerksam zu machen, daß deren Medien seit fünf Jahren journalistisch mangelhaft arbeiten! Die Art und Weise, wie unsere legitim gewählte Legislative und Exekutive – die PiS, das Parlament, Premierminister Morawiecki, Staatspräsident Duda, der Parteivorsitzende Kaczynski – geschildert werden, entbehrt jeder Hochachtung, jedem Respekt! Und das ist nicht nur die Linie dieser Zeitungen, das gilt auch etwa für ARD und ZDF. Entscheidend ist dabei die Besetzung der Korrespondentenstellen. Und ich habe wiederholt gewarnt, daß die wenigen deutschen Korrespondenten in Warschau so unsere langjährige Versöhnungsarbeit zunichte machen! 

Das sehen die Anhänger der polnischen Opposition wahrscheinlich ganz anders. 

Przylebski: Es ist klar zu beobachten, wie in Polen die Antipathie gegen Deutschland wegen Ihrer verzerrten Mediendarstellung wächst. Und man stellt sich die Frage: Agieren die deutschen Medien im Interesse der deutschen Politik oder handelt es sich „nur“ um ein linksliberales Ausscheren Ihrer Medien?

Was meinen Sie? 

Przylebski: Ich meine die Ideologisierung, die seit Jahren in den größten deutschen Medien zu beobachten ist. Und die dazu führt, daß diese die traditionelle Aufgabe von Medien, die Weltbeschreibung, aufgeben, und durch das Ziel, Weltveränderung herbeizuschreiben, ersetzt haben. Eine Ideologisierung im Sinne linksliberaler Verirrung!  

Sie klagen allerdings nicht nur über die deutschen Medien, sondern äußerten unlängst, daß Sie Deutschland an sich „nicht mehr wiedererkennen“ würden. Warum? 

Przylebski: Mein Abenteuer mit Deutschland begann 1987, als ich für einen Sprach-und Kulturkurs nach Heidelberg kam, dem ein zweijähriger Aufenthalt 1991 folgte. Ich war Forschungsstipendiat der Humboldt-Stiftung und schrieb unter Konsultation des renommierten Philosophen Hans-Georg Gadamer meine Habilitation über den badischen Neukantianismus. 1996 bis 2001 war ich dann im diplomatischen Dienst in Bonn und Berlin. Insgesamt verbrachte ich mit meiner Familie über 15 Jahre hier, und meine Söhne sprechen Deutsch wie ihre Muttersprache! Doch Deutschland, ja der ganze europäische Westen, hat sich nach der Jahrtausendwende sehr verändert: weitgehende Atomisierung der Gesellschaften, Zerfall der Familie, wachsende Feindschaft gegen den christlichen Glauben, Dominanz der Gender-Ideologie und eine destruktive Kritik an der europäischen Kultur. Wir Polen, zumindest die Mehrheit, können uns in diesem Europa nicht mehr wiedererkennen. Jüngst starb der großartige französische Schriftsteller Jean Raspail. In seinem besten Buch, dem Roman „Das Heerlager der Heiligen“ von 1973, beschrieb er bereits prophetisch, was in Europa heute passiert: den Selbsthaß und die Ideenlosigkeit und welche Konsequenzen das hat. Nach der Lektüre des Buches sagte mir ein Diplomaten-Freund: „Frankreich ist so postmodern, daß es nicht mehr zu retten ist. Deutschland jedoch ist noch zu retten – indem es an die Ideale einer modernen Gesellschaft anknüpft, die Hegel so überzeugend beschrieben hat!“ 

Helfen Sie uns bitte auf die Sprünge!

Przylebski: Individuelle, aber zugleich „konkrete“, das heißt, in der gegebenen Gesellschaft verankerte  Freiheit. Verbunden mit der modernen Sittlichkeit in Form der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft, das heißt, des kapitalistischen Arbeitssystems, und des modernen Staates. Polen lebt nach wie vor nach diesem Muster – in der derzeit möglichen, spätmodernen Gestalt. Deutschland dagegen befindet sich auf der Schwelle von einer modernen zu einer postmodernen Gesellschaft. Doch wenn es den Schritt zurück machen würde, dann wäre Europa gerettet!  

Was sehen Sie als Ursache dieses Zustands?

Przylebski: Den Triumph der neomarxistischen Ideologie von 1968, philosophisch unterstützt von der „Frankfurter Schule“, mit ihrem Menschenbild, basiernd auf abstrakter individueller Freiheit als höchstem Götzen, ihrer Vorstellung von der Rolle der Erziehung, Stichwort: Schule als Spaß, und der Eltern-Kind-Beziehung – Familie als Tatort von Gewalt –, von Rechten, denen weder Pflichten noch Verantwortung gegenüberstehen sowie von der Gesellschaft als Vertrag und loses Aggregat von Menschen. Europa ist damit heute auf in eine Sackgasse führende Prinzipien gestellt. Die Linke propagiert immer mehr Emanzipation und die Rechte hat keine Kraft, sich dem entgegenzustellen. In Polen versucht man es immerhin noch. Aber wir stehen allein, als letztes Bollwerk des Abendlandes. Nehmen Sie die Ökologie als Beispiel, sie war ursprünglich mit der konservativen Weltauffassung verbunden: Natur sollte als Gegebenes konserviert werden. Die Linke dagegen war für technischen Fortschritt – der die Natur ruinierte. Wie konnte es dazu kommen, daß die Linke den Konservativen diese Idee gestohlen hat? Die von französischen und amerikanischen Universitäten kommende Postmoderne verändert unser Bild von der Wirklichkeit grundlegend – in solchem Ausmaß, daß dies zum Untergang Europas führen wird! Denn die Postmoderne ist ein Triumph der Narrative und der Infragestellung des Wahrheitsanspruchs. Davon ist leider auch der heutige Journalismus geprägt – was man in der Erzählung Ihrer Medien über mein Land klar vor Augen geführt bekommt. Ich aber bin Philosoph, kein Sophist. Und für Philosophen ist Wahrheit heilig, denn sie ist das, was unseren Bezug zur Wirklichkeit, samt unseren Versuchen sie zu verändern, bestimmen muß! Sie ist der Hauptwert der abendländischen Kultur und Hauptursache ihrer historischen Erfolge. Wenn wir auf Wahrheit, also auf einen echten, von Political Correctness freien Dialog – denn Wahrheit wird im Dialog geboren – verzichten, dann können wir Europäer „einpacken“, sprich das Ende unserer Kultur und Größe erklären.






Prof. Dr. Andrzej Przylebski, der Philosoph und Diplomat mit einer Professur an der Universität Posen ist seit 2016 Botschafter der Republik Polen in Deutschland. Geboren 1958 in Chmielnik bei Posen, war er Schüler Hans-Georg Gadamers, dessen Hermeneutik er zu einer Kulturkritik fortentwickelte. Er lehrte als Gastprofessor an der TU Chemnitz, war Vizevorsitzender der Hegel-Gesellschaft in Berlin und gehört dem „Nationalen Entwicklungsrat“, einem Beratungsgremium Staatspräsident Dudas an. 2021erscheint in Deutschland sein Buch „Warum Polen ein Wert ist“.

Foto: Staatspräsident Duda, polnische Pressetitel deutscher Verlage: „Das ist kein Journalismus mehr, das ist schon antipolnische Propaganda“

 

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