© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Kein doktern, ohne zu schaben?
Lebensschutz: Grüne Politikerinnen beklagen einen Mangel an Abtreibungsärzten / Debatte um mögliche Einstellungsvoraussetzung für Mediziner an Uni-Kliniken
Sandro Serafin

Schon länger blicken Abtreibungsbefürworter kritisch auf Ärzte, die sich weigern, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, und das mit ihren ethischen oder religiösen Überzeugungen begründen. In der Gewissensfreiheit sehen sie eine „Barriere für legale Abtreibungen“ – so etwa nachzulesen in einem Forschungsprojekt, das von der EU mit knapp 1,5 Millionen Euro finanziert wird. Auch UN-Gremien haben sich in der Vergangenheit in diese Richtung geäußert.

Insofern ist der Vorschlag, den die Grünen-Politikerin Bärbl Mielich jüngst aufgeworfen hat, nicht unbedingt überraschend. Die Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Soziales und Integration sagte gegenüber der taz, ihr Haus prüfe, „inwiefern wir die Unikliniken, die ja dem Land unterstehen, dazu verpflichten können“, Abtreibungen anzubieten. Ganz konkret brachte sie die Option ins Spiel, in solchen Krankenhäusern die Bereitschaft, Abbrüche vorzunehmen, zum Einstellungskriterium für Ärzte zu machen. Abtreibungen sind in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei.

Der Vorschlag sorgte weit über die Lebensschutz-Organisationen hinaus für Kritik. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe nannte die Idee „unerhört“. Das Recht, über eine Beteiligung an einer Abtreibung zu entscheiden, habe „nichts mit einer Einschränkung der Selbstbestimmung der Schwangeren zu tun, sondern vielmehr mit dem Recht auf die eigene Selbstbestimmung“. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß warnte davor, die Gewissensfreiheit zu „vergewaltigen“. Der Vorschlag könne wohl keiner gerichtlichen Überprüfung standhalten.

Zu einem anderen Ergebnis kommt ein 2019 veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die Bereitschaft zur Durchführung von Abtreibungen dürfe als Anforderung in Stellenausschreibungen öffentlicher Kliniken auftauchen, schreiben die Juristen und beziehen sich dabei nicht zuletzt auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1991. Auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte können sich Abtreibungsverweigerer eher keinen Schutz erhoffen. Erst im Frühjahr wies das Gericht die Beschwerden zweier Hebammen in Schweden als „absolut unbegründet“ zurück. Die Frauen waren mehrfach mit Bewerbungen gescheitert, weil sie sich nicht an Abbrüchen beteiligen wollen.

Mielich begründete ihren Vorschlag vor allem damit, daß es einen Versorgungsmangel bei Abtreibungen gebe – ein Befund, den unter anderem die Landesärztekammer Baden-Württemberg teilt. Gemäß Schwangerschaftskonfliktgesetz müssen die Länder ein „ausreichendes Angebot“ sicherstellen. Diese Verpflichtung steht in einem Spannungsverhältnis zur verfassungsrechtlich garantierten Gewissensfreiheit, die im Gesetz noch einmal ausdrücklich festgehalten ist. 

„Dieser Vorstoß wird    nicht der einzige bleiben“

Folgt man allerdings den Abtreibungsgegnern, so kommt dieser rechtliche Konflikt in der Praxis gar nicht zum Tragen. Es sei kein Fall einer Frau bekannt, die sich über eine nicht durchgeführte Abtreibung beschwert habe, sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Alexandra Lindner, der JUNGEN FREIHEIT. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1993 als Anhaltspunkt für eine ausreichende Versorgung genannt, daß der Weg zur Abtreibungspraxis und zurück an einem Tag zu bewältigen sein muß. Ende 2019 boten laut Statistischem Bundesamt 1.149 Einrichtungen in Deutschland Abbrüche an.

Nach Kritik auch aus den eigenen Reihen, unter anderem von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, zog Mielich ihren Vorschlag inzwischen wieder zurück. Am Ziel der grün-schwarzen Landesregierung, die Zahl der Abtreibungs-Anbieter zu erhöhen, ändert dies jedoch nichts. Ärzte sollten „am besten schon während des Studiums“ für das Thema sensibilisiert werden, meinte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). Mielich hatte im taz-Interview spekuliert, junge Mediziner, die keine Abtreibungen vornehmen wollen, würden sich möglicherweise „gar keine Gedanken machen und das Problem nicht sehen“.

Lebensschützerin Lindner glaubt unterdessen nicht, daß die Sache mit dem Rückzieher der Staatssekretärin vom Tisch ist: „Dieser Vorstoß wird nicht der einzige bleiben.“