© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Bis eurer Sehnsucht Verlangen
Thilo Sarrazin: Nach mehreren Versuchen in zehn Jahren schließt die SPD den früheren Berliner Finanzsenator wegen Verstößen gegen Parteigrundsätze aus
Jörg Kürschner

Als „nicht hilfreich“ hat einst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Buch des Erfolgsautors Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ bezeichnet, ohne es freilich gelesen zu haben. Merkels öffentlicher Tadel liegt genau zehn Jahre zurück. Das Jahr 2010 läutete den Anfang vom Ende von Sarrazins bürgerlicher Existenz ein; freilich nur aus dem Blickwinkel der politischen Klasse, die ihm vermeintliche rhetorische Ausrutscher nun nicht länger nachsah, trotz fachlicher Kompetenz. Ministerialbeamter, Treuhand-Manager, Staatssekretär, Finanzsenator und schließlich Bundesbank-Vorstand. Und dann das abrupte Ende. Nach einem kurzen öffentlichen Disput über seine Thesen mit Bundesregierung und Bundespräsident Christian Wulff schied Sarrazin als Banker vorzeitig aus.

Fortan galt der studierte Volkswirt als „Brandstifter und Friedensbrecher in der Einwanderungsgesellschaft“. Ein Jahr zuvor hatte das SPD-Mitglied erstmals klipp und klar die Integrationsprobleme angesprochen. „Ich muß niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“, schrieb er in einem Aufsatz. Sarrazins Genossen schäumten, doch Parteiordnungsverfahren wegen angeblicher Verstöße gegen die Grundsätze der Partei scheiterten. Die SPD „müsse solche provokanten Äußerungen aushalten“, befand die Berliner Landesschiedskommission.

Doch wurde der Graben zwischen Sarrazin und der SPD immer tiefer. In „Deutschland schafft sich ab“ beklagte er erneut die fehlende Integrationsbereitschaft vieler Muslime. Jetzt war es die Bundes-SPD, die unter ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel ein Parteiausschlußverfahren einleitete. Unter Mitwirkung seines Verteidigers, des früheren Ersten Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi, einigten sich beide Seiten 2011 gütlich. Ein letztes Mal. Das Verfahren wurde nach einer persönlichen Erklärung Sarrazins eingestellt. Er stellte darin fest, daß es „insbesondere nicht meiner Überzeugung [entspricht], Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden; alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert“. Zudem bekannte er sich ausdrücklich zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie. „Richtiger Unfug“ sei das Parteiausschlußverfahren gewesen, befand Altbundeskanzler Helmut Schmidt.

Vor zwei Jahren riß der Geduldsfaden der SPD dann endgültig. Sie setzte eine Untersuchungskommission ein, die Sarrazins neuestes Buch „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ unter die politisch korrekte Lupe nahm. Ergebnis: Verstoß gegen die Grundsätze der Partei. Nach einem neuen Parteiordnungsverfahren befand die Landesschiedskommission zu Jahresbeginn, der umstrittene Autor könne aus der SPD ausgeschlossen werden. Dessen Berufung ist nun am vergangenen Freitag von der Bundesschiedskommission abgelehnt worden. Verübelt haben ihm die Parteirichter auch dessen Auftritt vor der Europawahl bei einer FPÖ-nahen Akademie zusammen mit dem damaligen Parteiobmann Heinz-Christian Strache.  

Damit ist der 75jährige kein Mitglied der SPD mehr, der er 1973 unter Parteichef Willy Brandt beigetreten war. Öffentliche Unterstützung hatte Sarrazin zum Schluß kaum noch erfahren. Mit einer Ausnahme. Seine Ehefrau gab am vergangenen Montag ihr Parteibuch freiwillig zurück; nach über 40 Jahren. Die Partei mutiere zur Sekte, meinte die Tochter des früheren DGB-Vorsitzenden Ernst Breit und fügte hinzu: „In der SPD wird jetzt nur noch zu hören sein, daß Migration grundsätzlich gut und daß der Islam harmlos und gut integrierbar ist, wenn wir uns nur genug anstrengen“.

Sarrazin will jetzt den ordentlichen Rechtsweg beschreiten. Landgericht Berlin, Kammergericht, Bundesgerichtshof, Bundesverfassungsgericht sind die Stationen, die der frühere, auf Betreiben Merkels aus der Partei ausgeschlossene ehemalige CDU- und heutige AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann letztlich erfolglos durchlaufen hat. Sarrazin müßte der SPD einen Verfahrensfehler nachweisen. Einen Mangel enthält zumindest die Presseerklärung der Bundesschiedskommission. Darin wird die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses damit begründet, daß „Sarrazin erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt habe“. Laut Parteiengesetz ist für einen Ausschluß aber ein „schwerer Schaden“ erforderlich. Sarrazin, der am Monatsende sein neues Buch „Der Staat an seinen Grenzen“ vorstellt, wird es aufmerksam registriert haben.