© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Unter den Wipfeln kein’ Ruh’
Paul Rosen

Noch vor dem ersten Spatenstich für den Tunnel vom geplanten Besucherzentrum des Bundestages zum Reichstagsgebäude sorgt das Vorhaben für reichlich Spott: Besucher könnten in Zukunft auf dem Weg von der Einlaßkontrolle zum Parlamentsgebäude direkt erleben, was ein „Tunnelblick“ bedeutet, der Politikern häufig unterstellt wird. Bis das Besucherzentrum und die Unterführung fertig sein werden, dürfte aber noch einige Zeit vergehen, auch wenn der Vorsitzende der Bundestags-Baukommission, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), zur Eile drängt: Denn mit jedem Jahr Warten würde das auf rund 150 Millionen Euro Baukosten geschätzte Objekt zehn bis zwölf Millionen Euro teurer.

Derzeit liegen sich Bundestag und Berliner Lokalpolitik in den Haaren. Es geht um etwa 90 Bäume, die am Rande des Tiergartens auf einem knapp 6.000 Quadratmeter großen Areal gefällt werden müssen, damit das Besucherzentrum errichtet werden kann. Doch da stehen zunächst die Berliner Baumschutzbestimmungen vor, die die Schaffung von Ersatzflächen vorschreiben. Dafür will der Bund eine Fläche im rund 20 Kilometer entfernten Wartenberg zur Verfügung stellen, was in der Hauptstadt für Empörung sorgt. Die grüne Stadträtin von Berlin-Mitte, Sabine Weißler, nannte das Angebot in der Zeitung B.Z. „zynisch und arrogant“, da Bewohner von Mitte keine Grünanlagen in Wartenberg nutzen würden. Außerdem stehe die Fläche dort schon unter Naturschutz.

Berliner Kommunalpolitiker haben ihr Auge für einen Ausgleich auf ein Areal in der Nähe des Hauptbahnhofs geworfen. Es handelt sich dabei um das ehemalige „Grabfeld 1“ des Invalidenfriedhofs, das 1973 von der DDR-Regierung eingeebnet, vom Friedhof abgetrennt und mit einem Garagenhof überbaut wurde. Die Fläche ist zubetoniert, die Garagen stehen bis heute. Hier sollte stattdessen eine Grünfläche entstehen. Der Bund stimmte zunächst zu, meldete inzwischen aber Bedarf für einen siebengeschossigen Erweiterungsbau des benachbarten Wirtschaftsministeriums auf einem Drittel der ehemaligen Friedhofsfläche an.

Diese Neubaupläne betreffen eine Fläche, die schon seit über hundert Jahren als Kriegsgräberstätte diente, worauf zu DDR-Zeiten keine Rücksicht genommen wurde. Auch Umbettungen fanden vor dem Bau der Garagen nicht statt. So gibt es hier ein Sammelgrab für 74 Soldaten aus Preußen, Österreich und Sachsen, die im deutsch-deutschen Krieg 1866 gefallen waren, außerdem Kriegsgräber aus beiden Weltkriegen.

Auch aus diesem Grund soll das Thema jetzt sogar auf die Tagesordnung des Bundestages. Die Fraktionen von FDP, Linke und Grünen fordern in einem gemeinsamen Antrag, den Bau des Besucherinformationszentrums voranzutreiben und dem Land Berlin das frühere Gräberfeld an der Scharnhorststraße zu übereignen. Die Übereignung der Fläche soll mit der Maßgabe versehen werden, „eine Bebauung der Ausgleichsfläche für die nächsten 30 Jahre vertraglich auszuschließen, unter anderem wegen der „angemessenen Würdigung der vorhandenen Grabanlagen.“