© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Bei Wirecard haben nicht nur Politik und Aufsicht völlig versagt
Deutscher Sittenverfall
Harald Weyel

Im „Fall Wirecard“ ist unklar, was Angela Merkel, Olaf Scholz und sein Staatssekretär Jörg Kukies wußten. Und was bedeutet es, wenn „CEOs“ ins Finanzministerium einbestellt und derartige Reden nicht protokolliert werden? Darüber wird ein Untersuchungsausschuß befinden müssen. Die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft gereicht offenbar nicht zum Segen. Die Zeiten der alten „Deutschland AG“ mit integren Managern wie Alfred Herrhausen sind längst vorbei. Der Anspruch traditioneller Unternehmer war es, Geld im Wortsinn zu „verdienen“, während im angelsächsischen Raum das „Geld machen“ im Mittelpunkt steht. Das typische „Make money, make more money“ ist ein entlarvendes Motto, unter dem Firmengründung und -wachstum durch „Innovation und Effizienzsteigerung“ schnell in Schneeballsysteme und Bilanzbetrug übergehen.

Während Deutschland mit der Sozialen Marktwirtschaft und dem rheinischen Kapitalismus lange gegenhalten konnte, brachen zur Jahrtausendwende mit der Goldgräberstimmung am „Neuen Markt“ alle Dämme. Der Wirecard-Bilanzskandal ist der vorläufige Tiefpunkt eines Sittenverfalls, der durch Spekulanten und willfährige Jurisdiktionen befeuert wird. Die deutsche Aktienkultur ist eine Ruine. Nur noch ein Drittel der Anteile von Dax-Konzernen liegt bei heimischen Investoren. 2019 wurden deutsche Dividendenzahlungen in Höhe von 19,8 Milliarden Euro in ausländische Taschen gepumpt – statt den heimischen Wohlstand zu erhöhen.

Das Hochziehen von oft fragwürdigen Firmen in die erste Börsenliga ist zum einträglichen Nebenverdienst von einschlägigen Finanzakteuren geworden. Während typische „Pump & Dump“-Mechanismen einst mit windigen Penny-Stocks in Verbindung gebracht wurden, unterscheiden sich deutsche Börsen-Werdegänge mittlerweile kaum noch davon. Essenslieferanten und Dufthersteller als mögliche Dax-Aspiranten sind kein Zeichen für eine Abkehr von diesem Irrweg. Im Gegenteil: Die derzeitige Luftigkeit des Lufthansa-Geschäftsmodells nimmt sich dagegen deutlich geringer aus. Der einst ehrwürdige Dax mit weltweit angesehenen Industriekonzernen verkommt zum ausgesprochenen Kurzstrecken-Index für Spekulanten. Die Betrugsanfälligkeit gerade des „internationalen Geschäfts“, in der Wirtschaft wie in der Politik, steigerte sich dynamisch.

Hoffnung gibt jedoch der deutsche Mittelstand. Dort ist die Substanz an traditioneller Unternehmens- und Leistungskultur noch nicht aufgezehrt. Es ist daher die Aufgabe deutscher Politik, insbesondere dem Mittelstand samt seinen Arbeitnehmern einen Schutzraum aufzuspannen, um ihn vor den Übergriffigkeiten der Globalisten zu schützen.






Prof. Dr. Harald Weyel ist Ökonom und AfD-Obmann im Bundestagsausschuß für die Angelegenheiten der EU.