© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Diffamieren und falsch informieren
Die Berichterstattung zu den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen ist stark verzerrt
Ronald Berthold

Der Umgang mit der Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen hat die Glaubwürdigkeitskrise zahlreicher Medien verschärft. Ihre Berichte hatten weder vor noch während und erst recht nicht danach etwas mit dem zu tun, was sich tatsächlich am 1. August in Berlins Mitte abspielte.

Nachdem die Veranstaltung zunächst komplett verschwiegen wurde, berichtete der RBB einen Tag vor der Demo, daß es am Sonnabend insgesamt 80 Aufzüge in der Stadt geben werde. Demonstrationen gegen einen von Neonazis angemeldeten Aufmarsch am Brandenburger Tor fänden statt. Gemeint war die Veranstaltung „Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit“. „Die NPD und Teile der AfD“ steckten dahinter. In Wirklichkeit hatte sie die Stuttgarter Organisation „Querdenken“ angemeldet.

Offenbar versuchte der öffentlich-rechtliche Sender, Selbständige, Gastronomen und andere von den Corona-Maßnahmen gebeutelte Unternehmer mit dieser Sprachregelung davon abzuhalten, sich an dem Zug zu beteiligen. Wer marschiert schon gern mit Neonazis durch die Stadt und will von der gewaltbereiten Antifa attackiert werden?

Einseitige Bilderauswahl

Diese Masche setzte sich am Veranstaltungstag fort: Kurz nachdem die Demo auf der Prachtstraße Unter den Linden begonnen hatte, erfand Spiegel Online, diese sei aufgelöst worden. Tatsächlich geschah dies erst fünf Stunden später, und praktisch angesichts der Menschenmenge kaum. Mehrere Medien übernahmen diese Meldung trotzdem. Während viele Teilnehmer der Kundgebung später spekulierten, die Auflösung habe von Anfang an festgestanden und die Medien seien frühzeitig darüber informiert worden, kann diese Fake News auch den Grund gehabt haben, zu verhindern, daß sich weitere Menschen dem zu diesem Zeitpunkt bereits riesigen Zug anschlossen oder sich auf den Weg zur Kundgebung auf der Straße des 17. Juni machten.

Ihre Live-Berichte illustrierten die Online-Ausgaben der Medien dann mit Fotos von unsympathisch dreinblickenden, grölenden Männern. Mit der tatsächlich bunten Mischung von Alt-Hippies, Ökos, Friedensbewegten, Ravern, Rechten und vor allem ganz normalen Menschen hatte all dies nichts zu tun. Der Frauen- und Familienanteil war zudem auffallend groß. Zahlreiche Regenbogenfahnen und blaue Flaggen mit Friedenstauben dominierten; dazu schwedische, zahlreiche deutsche Fahnen und Wappen der Städte, aus denen die Teilnehmer kamen. Von Reichskriegsflaggen, wie zahlreiche Journalisten berichteten, war nichts zu sehen, sondern lediglich eine schwarz-weiß-rote Fahne.

In Kommentaren und auf Twitter verurteilten zudem zahlreiche Journalisten die nicht eingehaltenen Abständsregeln, was angesichts der großen BLM-Silent-Demos Anfang Juni kaum Kritik hervorrief – parteiischer Journalismus mit zweierlei Maß. 

Von Anfang an ging es den Pressevertretern offenbar darum, die Teilnehmerzahl möglichst gering zu halten. Denn wie viele Menschen sich beteiligen, sagt viel über das Gewicht des Anliegens aus, für das sie auf die Straße gehen. Der ehemalige Welt am Sonntag-Chefredakteur und heutige Corporate Creative Director bei Axel Springer, Peter Huth, verbreitete noch zwei Tage nach der Demo über Facebook ein Foto, das die Straße des 17. Juni Stunden vor der Kundgebung zeigte. Dort waren weit weniger Menschen zu sehen, als letztlich teilnahmen. Er nannte es: „Interessante Erweiterung der Perspektive“.

Ähnlich wie der RRB behauptete der Tagesspiegel im Vorfeld, „Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, rechtsgerichtete Esoteriker und organisierte Rechtsextreme“ mobilisierten. Im Text verlinkte er zu einem Kommentar des Antifa-Anhängers Sebastian Leber im selben Blatt mit der aggressiven Überschrift „Halt den Rand, Onkel – Warum Corona-Verschwörungsgläubige keine Rücksicht verdienen“. Derselbe Autor „berichtete“ dann vor der Veranstaltung schon in der Schlagzeile „Corona-Skeptiker und Rechtsextreme rufen zu Großdemo in Berlin auf“. Am 1. August, dem „Tag der Freiheit“ selbst vermeldete die Zeitung dann unter Berufung auf die Polizei, der Veranstalter habe die Teilnehmerzahl von 500.000 auf 10.000 heruntergeschraubt.

Die Welt und andere Medien verbreiteten schließlich, der Slogan „Tag der Freiheit“ sei der Titel eines NS-Propagandafilms von Leni Riefenstahl. Den Lesern sollte klargemacht werden: Hier versammeln sich Menschen praktisch unter dem Hakenkreuz.

Daß es dann doch realistisch gesehen mehrere zehntausend Demonstranten waren (siehe Seite 6), die sich versammelten, wurde spätestens durch ein dpa-Foto deutlich, das von der Spitze der Siegessäule aufgenommen die bis zum Brandenburger Tor gefüllte Straße des 17. Juni zeigte. Jede Berliner Redaktion, die regelmäßig über dortige Events berichtet, wußte nun, daß es sich um die größte Demo in der Hauptstadt seit Jahren handelte. Doch eisern bleiben sie bei ihrer 20.000-Teilnehmer-Version.