© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Seit Jahrzehnten fern der Heimat
Die Landsmannschaft Ostpreußen in Nordrhein-Westfalen hat einen bemerkenswerten Sammelband herausgegeben
Walter Rix

Nicht selten wird das biologische Ende der ostdeutschen Landsmannschaften prognostiziert, manchmal mit Bedauern, bisweilen jedoch mit unverhohlener Genugtuung. Wiederholt tauchen jedoch Zeugnisse auf, aus denen hervorgeht, daß man noch lange auf dieses Ende warten muß. Es läßt daher aufmerken, wenn die ostpreußische Landsmannschaft in Nord-rhein-Westfalen nach 70 Jahren ihres Bestehens eine 350seitige, reichbebilderte und mit aufschlußreichem Kartenmaterial versehene Publikation vorlegt, die Bilanz zieht, Ostpreußen landeskundlich vorstellt und auch einen Blick in die Zukunft wagt. Eine derartige Publikation konnte naturgemäß keine Festschrift sein, sondern mußte die Gestalt einer Chronik annehmen. 

Einblick in die soziale und mentale Entwicklung

Sieht man von den obligatorischen Würdigungen ab, so gliedern sich die Beiträge in drei Kategorien. In der ersten werfen elf Kreisgruppen sowie die Landesgruppe NRW einen Blick zurück. Nun könnte man sagen, daß sich die Bedeutung der Vergangenheit aus dem Schmerz der Erinnerung ergibt. Aber die Rückblicke bleiben nicht beim Schmerz stehen. In ihrer Gesamtheit vermitteln sie einen tiefen Einblick in die soziale und mentale Entwicklung seit Kriegsende und decken damit eine Tiefenstruktur auf, die unseren Blicken ansonsten entzogen ist. Auf diese Weise ergänzen sie in einem wichtigen Teilbereich das Bild der sich nicht nur wirtschaftlich konsolidierenden Bundesrepublik. 

Der Mittelteil bringt landeskundliche, historische und literarische Beiträge. Zu nennen sind insbesondere der sorgfältig recherchierte Beitrag von Jürgen Zauner über Masuren und die Abstimmung von 1920 sowie die aufschlußreiche Darstellung von Bärbel Beutner über die Rezeption der ostpreußischen Literatur nach dem Verlust der Provinz. Abschließend schneidet der dritte Teil aktuelle Themen an, die nicht ganz ohne Brisanz sind, so zum Beispiel „Rückerwerb des Königsberger Gebietes“ oder „Deutsche Kulturgüter als Raubkunst“. Besondere Beachtung verdienen in diesem Teil auch die Überlegungen „Der Lastenausgleich – eine Erfolgsgeschichte?“ von W. Kreuer sowie die juristisch und völkerrechtlich hochinteressante „Dokumentation zur Eigentumsfrage“ von Ulrich Penski. 

Faßt man den Informationswert aller Beiträge zusammen, so kommt man zu dem Schluß, daß hier ein Nachschlagewerk zu Ostpreußen vorliegt, dessen detailliertes Inhaltsverzeichnis das Register ersetzt. Wenn Agnes Miegel ihr Gedicht „Abschied von Königsberg“ mit der Zeile beschließt „… und daß Du, Königsberg, nicht sterblich bist!“, so gilt das auch für Ostpreußen. Wer die Chronik in die Hand nimmt, spürt das. Da die Chronik für sensible Gemüter politisch nicht überall korrekt ist, konnten sich noch nicht einmal die zuständigen Stellen dazu entschließen, das Projekt durch einen Druckkostenzuschuß zu fördern. Dennoch ist der umfangreiche Band mit 5 Euro äußerst erschwinglich. 

Bezug durch: Brigitte Schüller-Kreuer, Backesweg 37, 53572 Unkel, Schueller-Kreuer@Ostpreussen-NRW.de, Tel.: 0 22 24/98 73 76 7

Landsmannschaft Ostpreußen in NRW: Rückschau auf 70 Jahre Landsmannschaft Ostpreußen in NRW. Selbstverlag, Brilon 2020, broschiert, 318 Seiten, 5 Euro + Porto