© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

„Die Spießer ängstlich gemacht“
Jugendbünde stehen in der Öffentlichkeit in der Kritik, dabei haben sie eine lange Tradition
Hermann Rössler

Aufwachen im Morgentau: Die Trillerpfeife des Kornetts drang bereits schrill in die Gehörgänge. Mit dem Schlafsack gleichsam die Nacht abschütteln, vor der Kohte antreten: „Puma – Stolzer Jäger der Berge!“ In der Dämmerung dringen die Rufe der Sippen von einem Ende des Zeltplatzes zum anderen. Es geht um Schnelligkeit, Disziplin und Gemeinschaftssinn. Am Ende des Sommerlagers wird eine der Pfadfindergruppen als Gewinner hervorgehen. Das alles ist mehr als ein Spiel, es ist Charakterbildung, wenn auch mit dem unbedingt notwendigen frohen Geist.

Wer über die deutsche Jugend lediglich in den großen Medien liest, kann schnell den Eindruck gewinnen, es wachse eine auf links gedrehte Generation heran, deren Interessen und stürmischer Drang sich in den konformistischen Ideologismen der Klima-, Gender-, und Anti-Rassismus-Maschinerie erschöpfen. Kein Wunder also, daß sich die Bild kürzlich über einen „verstörenden Mädchenaufmarsch in Sachsen“ wunderte, nachdem der linksradikale Twitter-Kanal „Dresden Nazifrei“ in der Landeshauptstadt vor der Frauenkirche singende Mädchen in „Uniform“ gesichtet hatte. Die Aufmachung erinnere an den nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädel (BDM), schrieb das Springerblatt.

Wer dagegen schon einmal die Dunstblase der konsumorientierten Wohlfühlgesellschaft verlassen hat, konnte feststellen, daß es Jugendbewegungen dieser Art weltweit gibt. Sicher, die Bündische Jugend ist ein deutsches Unikat. Auch die Kohte, die aus dicken, schwarzen Zeltplanen besteht, ist ausschließlich bei deutschen Pfadfindern und Bündischen in Gebrauch. Das Fahrtenleben dagegen ist universal. Die Pfadfinder erfreuen sich internationaler Beliebtheit. 

Auf Fahrt gehen, das heißt mehrere Wochen in Sibirien, Norwegen oder eben Sachsen unterwegs zu sein. Die Heranwachsenden bleiben unter erfahrener Leitung in Standlagern. Das Sommerlager wie auch das Winterlager gehören zu den abenteuerlichen Höhepunkten und Prüfungen eines jeden Pfadfinders oder Bündischen. Fester Bestandteil des Fahrtenlebens ist das Singen heimischen Liedguts. In den Augen der politsch-korrekt gedrillten Moralisten wird das gern als „völkisch“ verbrämt. „Wir haben die Spießer ängstlich gemacht und wir lachen, wenn man uns hetzt“, heißt es passend dazu in einer Strophe, die schon in der Verbotszeit der Jugendbewegungen während des Nationalsozialismus gesungen wurde. Daß der BDM sowie die Hitlerjugend (HJ) bündische und pfadfinderische Bräuche adaptierten und zu ihren Zwecken mißbrauchten und nicht anders herum, kann einer nach Empörung heischenden Journaille nur zweitrangig sein.

Deutsche Jugend jenseits der Medienrealität

Rote Hemden, blaue Röcke, am linken Ärmel das Zeichen einer weißen, aufgehenden Sonne auf schwarzem Hintergrund. Bei den von der Presse skandalisierten Fotos handelte es sich bei einer der abgelichteten Gruppen um den Freibund, der sich in der Tradition der Bündischen Jugend sieht. Die Jugendbewegungen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts aus der Eigeninitiative von Jugendlichen und sind auch als eine Antwort auf das zunehmend einengende Leben einer industrialisierten Welt zu verstehen. Der Freibund gründete sich aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Bund Heimattreuer Jugend. In der Freiburger Erklärung von 2005 erläutern die Unterzeichner: „Aus einer vorwiegend politisch motivierten Gemeinschaft ist ein heimatliebender Jugendbund geworden, der bündisches Selbstverständnis und das Prinzip des Lebensbundes miteinander vereint.“ 

Lebensbund meint, daß auch die Erwachsenen und Familien sich über die Jugend hinaus als eine Gemeinschaft verstehen. Familie, Volk und Kultur, die Beziehung von Natur und Mensch, Selbsterziehung und die Würde jedes Menschen sind weitere Prinzipien, zu denen sich die Freibündischen bekennen. Die Mitgliederzahlen belaufen sich auf einige hundert.

Die Pfadfinder gründete der britische Offizier Baden Powell Anfang des 20. Jahrhunderts. Getreu dem Konzept Powells verfolgen auch die Pfadfinder eine charakterbildende Pädagogik, die sich jedoch an das Christentum bindet. Vom Wölfling treten die Jungs und Mädchen, im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren als Pfadfinder ausgebildet, ein in die Stufe der Raider und Rover. In Deutschland gibt es die Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE), die zum Verband der Union Internationale des Guides et Scouts d’Europe (UIGSE) gehört. In 23 Ländern zählt die UIGSE knapp 70.000 Mitglieder. Den Stufen entsprechend heißen die Wahlsprüche zuerst, „Unser Bestes“, dann „Allzeit bereit“ und letztlich „Ich diene“. 

Der Pfadfinder verpflichtet sich neben zehn Gesetzen und drei Prinzipien den Tugenden Freimut, Hingabe und Reinheit. Seinem Land und seinen Mitmenschen dienlich zu sein, ist dabei selbstverständliche Pflicht. Das Zeichen der Lilie, die bei den katholischen Pfadfindern auch für die Heilige Maria steht, erhielt ihre Form von alten Kompaßnadeln. In der KPE ist der angestrebte Norden Christus. Wer in kommenden Sommern und Wintern Jugendbünde endlos lange Straßen entlang ziehen sieht, sei daran erinnert: „Sonne ruft das junge Leben. Dunkel kann es nicht mehr halten, muß zu Hohem sich entfalten.“