© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

„Die schlägt man nicht“
Polizei: Die vermeintlichen Rassisten sind eher Prügelknaben / Streit um Studien
Paul Leonhard

Die deutsche Polizei macht, soweit sie dazu personell in der Lage ist, ihren Job richtig gut. Anders ist nicht zu erklären, daß sie aus Richtung der politischen Linken immer wieder unter Generalverdacht gestellt wird, rassistisch zu handeln. Angeheizt durch Bilder und Berichte aus den Vereinigten Staaten ist für manche Politiker klar: Wenn es bei der Polizei dort Rassismus gibt, dann müsse das hierzulande genauso sein. „Da werden Vergleiche aus Amerika importiert, wo es nichts zu vergleichen gibt“, schimpfte jüngst der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek.

Doch für Grünen-Politikerin Claudia Roth, immerhin Vizepräsidentin des Bundestages, ist klar, daß das verbotene „Racial Profiling“ polizeilicher Alltag ist; daß also Menschen ohne konkreten Anlaß, nur wegen ihrer Haut- oder Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale kontrolliert werden.

Ist dem so? Einen entscheidenden Hinweis liefern Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik mit ihrem „Elfpunkteplan“. In diesem geht es nicht etwa um einen besseren Schutz der Bevölkerung vor Kriminellen, sondern um den Kampf gegen angeblich rassistische Einstellungen bei der Polizei. Diesen könne begegnet werden, so Geisel und Slowik, wenn etwa Polizisten, die lange in Problemkiezen von Neukölln oder Wedding arbeiten und bei denen es wegen der gehäuften und speziellen Kriminalität dort Anzeichen für eine fremdenfeindliche Einstellung gibt, künftig schneller in anderen Stadtteilen arbeiten würden.

Flankiert wird diese Idee von einem Antidiskriminierungsgesetz, dem zufolge in Berlin künftig alle auf Entschädigung klagen können, die sich von der Polizei rassistisch behandelt fühlen. Dagegen hebt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) lediglich belehrend den Zeigefinger: „Polizeibeamte handeln im Auftrag der Gemeinschaft. Die schlägt man nicht, bespuckt man nicht, beleidigt man nicht.“ Daß dieser einst geltende Grundkonsens derzeit immer häufiger in Frage gestellt wird, sei es von politischen Extremisten oder jungen Männern „mit Migrationshintergrund“ und einem Faible für die „Partyszene“, haben die Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt/Main gezeigt (siehe die Seiten 6 und 7). 

„In Sorge wegen gestiegener Gewalt“

Einer von Seehofer geplanten Studie über die Ursachen für die zunehmende Gewalt gegenüber Polizisten wird nun von linken Politikern, aber auch Teilen der CDU mit der Forderung entgegnet, es sei derzeit notwendiger, rassistische Tendenzen in der Polizei wissenschaftlich untersuchen lassen. Befeuert wird das durch Berichte über angebliche rechtsextreme Netzwerke in der Polizei.Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), aber auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), halten es für angebracht, zu erforschen, ob die deutsche Polizei flächendeckend gesetzwidrig handelt, indem sie bestimmte Bevölkerungsgruppen anlaßlos kontrolliert. Auch Norbert Röttgen, Kandidat für den CDU-Vorsitz, befürwortet eine Rassismus-Studie. Schließlich könne diese auch die Polizei entlasten.

Dabei gibt es belastbare Zahlen: Der Widerstand gegen Polizisten und der tätliche Angriff auf sie ist 2019 um etwa acht Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Nach dem Lagebericht des Bundeskriminalamtes wurden fast 37.000 Fälle angezeigt. Andererseits hat es zwischen 2012 und 2019 bei der Bundespolizei – 49.000 Beamte – lediglich 25 Verdachtsfälle mit rassistische Hintergrund gegeben. Berlins Innensenator Geisel verweist in seinem Bundesland auf 33 Disiplinarverfahren wegen extremistischer Vorfälle in den vergangenen Jahren, was, wie er selbst einräumt, bei 25.000 Polizisten „nicht viel“ sei. 

Und auch Ralf Kusterer, stellvertretender Bundeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, kann mit Zahlen aufwarten. So habe es bei rund 4,8 Millionen Einsätzen der Polizei in Baden-Württemberg lediglich vier ernste Fälle von Extremismus gegeben. „Bei einer solchen Fehlerquote würde kein Unternehmen der Welt seine Maschinen untersuchen“, sagte Kusterer der dpa und kritisierte die „andauernde Verunglimpfung einer ganzen Berufsgruppe“.

Das sehen die meisten Deutschen offenbar ähnlich. 62 Prozent der Befragten gaben Anfang August bei einer Umfrage an, ihr Vertrauen in die Ordnungshüter sei groß, bei 20 Prozent ist es sogar sehr groß. Überdies fordert eine Mehrheit der Bundesbürger von der Politik mehr Rückhalt für die Beamten.

Anfang September wird sich der im Frühjahr gebildete Kabinettsausschuß zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, dem neben Seehofer auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) angehören, mit der Situation bei der Polizei beschäftigen. Diese habe kein Rassismusproblem, gibt Gewerkschafter Radek den Ministern auf den Weg, aber es wäre wichtig, „der Ursache dieser Wahrnehmung auf den Grund zu gehen“.

Unterdessen kommt ein vertrauliches Lagebild von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt laut Nachrichtenmagazin Focus zum Ergebnis, daß die linksextreme „Antifaschistische Aktion“ gezielt Angriffe auch auf Polizisten vorbereite. Schwerste Verletzungen würden dabei in Kauf genommen, ja sogar gezielte Tötungen seien denkbar. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Seehofer wollte dies am Montag unter Verweis auf die Vertraulichkeit der Dokumente nicht kommentieren. Man beobachte jedoch die Entwicklung „sehr aufmerksam“, und es erfülle das Ministerium „mit Sorge, wenn vermehrt Gewalttaten passieren“.