© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Deutsches Target-2-Saldo übersteigt erstmals eine Billion Euro
Monetärer Sprengstoff
Dirk Meyer

Exportiert eine deutsche Firma eine Maschine nach Italien, so erfolgt die Zahlung durch die dortige Geschäftsbank über die italienische Notenbank, die EZB und die Bundesbank, bis schließlich der Betrag auf dem Firmenkonto gutgeschrieben wird. Da die EZB eine Clearing-Funktion übernimmt, hat die Bundesbank am Ende dort einen positiven Target-2-Saldo, während die Banca d’Italia der EZB gegenüber einen negativen Saldo offen hat.

Ähnlich werden internationale Vermögensanlagen und Kreditgeschäfte abgewickelt. Zum Krisenmeßfühler werden die Salden, wenn sie anhaltend hoch ausfallen und in einem Vertrauensverlust in Politik und Bankensystem begründet liegen. In dem einen Fall kommt es zu Importüberschüssen, im anderen Fall zu einer Kapitalflucht von Bankguthaben ins Ausland.

Ein deutscher Target-2-Saldo von erstmals über einer Billion Euro ist ein Warnsignal. Zur Finanzkrise 2008 wurden erstmals die 100 Milliarden Euro überschritten. In der Eurokrise wurden es 700 Milliarden Euro. Bis 2014 ging der deutsche Saldo auf 450 Milliarden Euro zurück. Mit dem Beginn der Staatsanleiheankäufe 2015 (PSPP) gab es wieder einen Anstieg, der sich durch das aktuelle Pandemie-Ankaufprogramm (PEPP) verschärft hat. Deutschland gilt in Corona-Zeiten als sicherer Hafen für Kapitalanleger. Indem Euro-Ausländer mit einem Bankkonto einer deutschen Bank in Frankfurt italienische Staatsanleihen im Rahmen des PSPP-Programms an die Banca d’Italia verkaufen, steigen automatisch der deutsche bzw. der italienische Target-Saldo in entgegengesetzte Richtung – für Italien seit Jahresbeginn von minus 383 auf derzeit minus 537 Milliarden Euro. Da die Verkäufer ihr Geld nicht wieder in Italien anlegen, ist dies eine Art von Kapitalflucht.

Target-2 mutiert zu einem verdeckten Euro-Rettungsprogramm ohne jegliche demokratische Kontrolle: ein unbegrenzter Überziehungskredit, unbesichert, zinslos und mit unendlicher Laufzeit – und der hat einen Barwert von null. Die AfD verlangte daher bereits 2018 in einem Bundestagsantrag, daß nationale Zentralbanken mit Target-Verbindlichkeiten diese mit werthaltigen, marktfähigen Sicherheiten unterlegen müssen – ähnlich der Handhabung im US-Fed-System. Die Target-Leitlinien könnte der EZB-Rat mit einfacher Mehrheit ändern, was politisch schwierig und mangels Sicherheiten für Italien, Spanien und Portugal unmöglich wäre.

Im Falle eines Ausscheidens Italiens aus der Währungsunion dürften die Target-Kredite für die EZB endgültig verloren sein – wovon Deutschland 26 Prozent zu tragen hätte. Käme es zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone, wäre das für den Exportmeister Deutschland monetärer Sprengstoff!






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.