© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Diversitär, totalitär
Filmförderung: Mit neuen Vorschriften verfolgen Bürokraten ein politisches Umerziehungsprogramm
Thorsten Hinz

Die DDRisierung des Kulturbetriebs der Bundesrepublik schreitet voran. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) will ihre Zuwendungen an Vielfalts- beziehungsweise Diversity-Standards knüpfen, die sie – wie im beflissenen Neusprech verlautet – im Austausch „mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Diversity-Experten und Expertinnen und Vertretern und Vertreterinnen der Filmbranche“ kreiert hat. Es wurden „insgesamt drei Checklisten“ erstellt, und zwar für die Projektphasen „Entwicklung, Produktion und Verleih“, wie Geschäftsführer Helge Albers Anfang Juli in einem Spiegel-Interview erklärte.

Um ihre Tragweite zu erschließen, muß man sich seine Ausführungen im Originalton zu Gemüte führen: „Je nach Phase fragen wir verschiedene Schwerpunkte ab. Bei der Stoffentwicklung fragen wir eher inhaltlich nach, zum Beispiel ob die Geschlechter in der Geschichte ausgeglichen repräsentiert sind, ob People of Color vorkommen und Figuren mit einem unterprivilegierten sozioökonomischen Hintergrund dargestellt werden.“ Und weiter: „Für die Produktionsphase wollen wir dann zusätzlich wissen, wie das Team zusammengestellt ist und wie der Zugang zu den jeweiligen Jobs geregelt ist. Bei der Auswertung interessieren uns schließlich Fragen der Zugänglichkeit, ob zum Beispiel der ländliche Raum versorgt wird oder Filme nur in den Ballungszentren gezeigt werden sollen. Ziel ist es insgesamt, sowohl Inhalte als auch Strukturen auf ihre Diversität hin zu überprüfen.“

Also werden Politiker, Beamte, Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Lobbyisten bis in die Details über das Wohl und Wehe eines künstlerischen Projekts entscheiden. Unter diesem Reglementierungs- und Normierungsregime hätten Genies wie Woody Allen, Ingmar Bergman, Fassbinder, Fellini keine Chance gehabt. Apropos DDR: Dort hätte es in den 1980er Jahren kein Kulturfunktionär im nüchternen Zustand mehr gewagt, in dieser Tonart den Künstlern vorzuschreiben, was sie zu tun haben. 

Auf ihrer Netzseite wird die FFHSH noch deutlicher: „Ab sofort sind Antragsteller*innen dazu verpflichtet, einen Fragenkatalog zur Diversität ihres geplanten Projektes zu beantworten. So sollen sie zur bewußten Beschäftigung mit dem Thema Diversität und zur kritischen Überprüfung des eigenen Handelns angeregt werden. Sehen wir im geplanten Filmprojekt Menschen mit Behinderung? Wie viele Frauen sind in leitenden Funktionen am Projekt beteiligt? Gibt es im Team People of Color? Und wenn nein: Warum nicht?“ Und dann heißt es drohend: „Wir wissen, daß diese Checklist nur ein Anfang sein kann. Daher bleiben wir weiterhin im Austausch mit der Branche, um die Liste fortlaufend anzupassen und weitere Maßnahmen zu entwickeln.“

Zur Begründung heißt es, es sollen Klischees aufgebrochen, die vernachlässigte Buntheit bundesdeutschen Lebens öffentlich gemacht, mehr diversitärer und multikultureller Realismus  gewagt werden und was der Phrasen mehr sind. Doch schon die administrative Anweisung ist Beleg genug, daß die neue Kunstproduktion eine Kopfgeburt von Politbürokraten ist, die ein politisches Umerziehungsprogramm verfolgen.

„Wahrheitstreue und historische Konkretheit der künstlerischen Darstellung müssen mit den Aufgaben der ideologischen Umformung und Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus abgestimmt werden.“ Mit dieser Begründung wurde der sozialistische Realismus auf dem Ersten Allunionskongreß der sowjetischen Schriftsteller zur verbindlichen Kunstdoktrin erhoben. In den Zusammenhang gehört auch das Stalin-Wort vom Schriftsteller als dem „Ingenieur der menschlichen Seele“.

Kaum gegründet, folgte die DDR dem großen Vorbild nach. Die „Kunstschaffenden“ des Landes hätten das „Leben richtig, das heißt in seiner Vorwärtsentwicklung darzustellen. Dazu ist die Kenntnis der Entwicklung des wirklichen Lebens erforderlich.“ Die Wirklichkeit würde „durch die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik“ bestimmt. So lautete 1951 der Befehl des SED-Zentralkomitees.

Der damals einflußreiche Literaturtheoretiker Paul Rilla formulierte die Ausführungsbestimmungen: Der sozialistische Realismus sei „diejenige Kunst, welche den Vermittlungen des Marxismus-Leninismus jene zweite, jene höhere Unmittelbarkeit verdankt, worin die realistische Gestaltung erst zu ihrer ganzen Wahrheit kommt“. Die Künstler müßten „sich entscheiden für eine künstlerische Praxis, die durchdrungen ist von dem keine Ausweichposition mehr zulassenden Bewußtsein, daß in der Kunst nur nützlich ist, was unserem sozialistischen Aufbau nützt.“

Eine Unmittelbarkeit, die durch eine Staatsideologie vermittelt wird, ist ein Widerspruch in sich. Proklamiert wurde hier der Absolutheitsanspruch des politischen Dogmas, der alle Lebensbereiche durchdringen, alle Dunkelheiten erhellen und sämtliche Unklarheiten beseitigen sollte. Die Kunst wurde als das geeignete Medium betrachtet, um die schöne neue Welt des Sozialismus idealiter vorwegzunehmen und zu propagieren, eine Welt, in der es keine Tragik und antagonistischen Konflikte mehr gab. Wo es zu Reibungen zwischen der Partei und dem Individuum kam, lagen die Gründe in dessen falschem Bewußtsein, das ihm die Einsicht versperrte, daß die Staatsmacht seine ureigenen Interessen selbst dann wahrnahm, wenn sie ihm repressiv gegenübertrat. Im äußersten Fall traten Parteifunktionäre oder sogar die Stasi als „deus ex machina“ auf und zerschlugen den gordischen Knoten. Das Böse, das diese harmonische Welt noch störte, lag außerhalb: im Westen, wo der Klassenfeind geiferte, hetzte und sabotierte.

In einem Interview mit der Zeit Mitte Juli behauptet Geschäftsführer Albers: „Diversität zu fördern, bedeutet nicht, Kreativen strenge Vorgaben zu machen. Sondern den Blick zu erweitern und Lücken zu schließen.“ Im Klartext: Der Funktionär bringt Ordnung in das Bewußtsein des Künstlers. Paul Rilla hatte sich eleganter ausgedrückt. Der gesellschaftliche – sprich: pekuniäre – Zwang, dem der bürgerliche Künstler bei seiner Themenwahl unterstand, würde im Sozialismus durch die „höhere Qualität einer bewußten Willens-entscheidung“ ersetzt. Was bedeutete, daß der Künstler sich, seine Gestalten und sein Publikum zum „Neuen Menschen“ modellierte, der so dumm und abstumpft war, daß er seine staatliche Gängelung als persönliches Glück und transzendente Erweckung empfand.

Natürlich haben sich weder Künstler noch das Publikum mehrheitlich mit ihrer befohlenen Idiotisierung abgefunden. Es gab viele Facetten, die von der Unterwerfung bis zur Opposition reichten. Der Schaden war dennoch enorm. Talente wurden ruiniert, verfielen dem Alkohol. Großartige Filme wurden verboten oder auf Eis gelegt, Manuskripte blieben ungedruckt. Um seinen Roman „Mutmaßungen über Jakob“ veröffentlichen zu können, ging Uwe Johnson 1959 in den Westen. Allmählich wurde die Kulturpolitik in der DDR gelockert. 1969 erschien nach langen Querelen Christa Wolfs Roman „Nachdenken über Christa T.“, in dem der Konflikt zwischen Gesellschaftssystem und Individuum mit dessen Tod endet. Marcel Reich-Ranicki schrieb damals bündig: „Christa T. stirbt an Leukämie, aber sie leidet an der DDR.“

Die Anweisungen der Filmförderung kommen einem Rückfall in die neostalinistische Vorzeit gleich. Den zuständigen Gremien ist es stets um die Forcierung der politisch-ideologischen Propaganda und nicht um die  Erschließung vernachlässigter, relevanter Themen gegangen. So wurde der Film „Wut“ des Regisseurs Züli Aladag aus dem Jahr 2006, in dem ein türkischer Drogendealer den gleichaltrigen Sohn einer deutschen Mittelschichtfamilie und dessen Eltern terrorisiert, seinerzeit trotz Starbesetzung und obwohl der Täter als tragisch gebrochene Figur gezeigt wird, von der ARD aus dem Haupt- ins Spätprogramm verschoben.

Die Blaupause für die Diversity-Filmkunst existiert bereits mit den Sonntagabend-Krimis, in denen taffe Migranten-Frauen und uniformierte muslimische Demokraten den freiheitlichen Rechtsstaat gegen seine braunen Feinde verteidigen. Mehr denn je wird man Ausländer, Schwule, Transen, Feministinnen und politisch Korrekte als besonders gute und edle Menschen präsentieren, die ihre kleinen Alltagskonflikte in allgemeiner Heiterkeit auflösen und in schönstem Einvernehmen miteinander leben würden, gäbe es nicht die bösen Fremdenfeinde und Nazis.

Zu erwarten ist eine moralisierende Tendenzkunst, in der die politische Ethik die Ästhetik mehr denn je vergewaltigt. In der Überzeugung, auf den Spuren der Staatsideologie „gut“ zu handeln, produziert man Häßliches, vulgo: Kitsch. Der wirkt auf den ersten Blick lächerlich, in seiner Massierung auf längere Sicht jedoch bedrohlich, denn er rückt in die Funktion einer mimetischen Handlungsanweisung für eine Welt nicht wie sie ist, doch wie sie sein soll. Genau das ist totalitär.

Der Dichter Hermann Broch schrieb 1933 im Aufsatz „Das Böse im Wertsystem der Kunst“ daher: „Wer Kitsch erzeugt, ist nicht einer, der minderwertige Kunst erzeugt, er ist kein Nichts- oder Wenigkönner, er ist durchaus nicht nach den Maßstäben des Ästhetischen zu werten, sondern er ist ein ethisch Verworfener, er ist der Verbrecher, der das radikal Böse will.“ Der Satz hat Gültigkeit über den Tag hinaus.