© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Umstrittenes frühestes Gesamtkunstwerk
Jagende Mischwesen
(ob)

Felsmalereien auf der indonesischen Insel Sulawesi liefern möglicherweise das bislang früheste Zeugnis für erzählende Kunst. Australische Archäologen stießen 2017 in einer Karstregion im Süden Sulawesis erstmals auf Malereien an einer Höhlenwand, auf der sechs winzige Jäger zu erkennen sind, die offenbar mit Speeren und Seilen einem Büffel nachstellen. Daneben zeigten sich zwei weitere Jäger sowie im Vergleich dazu gigantische Büffel und Schweine. Als besonderes Detail fiel ins Auge, daß eine Figur einen Tierschwanz, eine andere eine Schnauze zeigte. Bei derartigen Mensch-Tier-Hybriden handelt es sich gemeinhin um bildliche Reflexe spiritueller oder mythischer Vorstellungen, wie etwa beim stierköpfigen Minotaurus der antiken Griechen oder des altägyptischen Gotts Anubis. Ob mit der auf eine Entstehungszeit vor 43.900 Jahren datierten Szene tatsächlich das früheste bisher bekannte Gesamtkunstwerk der Menschheitsgeschichte zu bewundern ist, wird mittlerweile von Paul Pettitt (Universität Durham), einem Experten für prähistorische Kunst, bestritten. Denn exakt datiert sei nur eine Tierfigur. Denkbar sei auch, daß die angeblich jagenden Mischwesen erst zu einem späteren Zeitpunkt gemalt wurden. Das würde den seit dem 19. Jahrhundert in Europa entdeckten eiszeitlichen Höhlenmalereien entsprechen, von denen keine älter als 40.000 Jahre ist und von denen keine eine konkrete Geschichte erzählt. Erst ägyptische Schiefertafeln oder griechische Vasen, zwischen 5.000 und 1500 v. Chr., dokumentieren fiktive Erzählungen und deren Visualisierung, Kunstschöpfungen, zu denen allein Homo sapiens fähig gewesen ist (Spektrum der Wissenschaft, 8/2020). 


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