© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Rückspulende Revolutionen demütigen
Die Politikwissenschaftler Ivan Krastev und Stephen Holmes analysieren die weltweite populistische Revolte
Felix Dirsch

Der Glaube an das „Ende der Geschichte“, an die endgültige Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten und Marktwirtschaft, war unmittelbar nach dem Zusammenbruches des europäischen Kommunismus nicht nur bei den Siegern omnipräsent; vielmehr reichte die Strahlkraft westlicher Werte bis zu jenen, die ihr eigenes Leben nach dem Untergang des roten Experiments neu ausrichten mußten.

Den osteuropäischen Völkern, deren Revolutionen vor drei Dekaden weithin nur „rückspulenden“ (Jürgen Habermas) Charakter aufwiesen, blieb nur nachahmendes Verhalten. Das westliche Modell fungierte als unabdingbares Vorbild, eigene ideengeschichtliche Traditionen kamen kaum zur Geltung. Das mußte längerfristig Frustrationen erzeugen, da dauerhafte Imitation genuine Schwächen hervorkehrt. Bald nach 1989/90 stellte sich bei herausragenden osteuropäischen Führern die Frage nach der Identität. Ein Schlüsselerlebnis besonders für die Eliten Polens und Ungarns war die zwar kurzzeitige, aber folgenreiche humanitaristische „Refugee welcome“-Euphorie Mitte der 2010er Jahre in Medien und Politik. 

Stramm der „Religion des Liberalismus“ verpflichtet

Gegen den Wunsch nach Umverteilung illegaler Migranten, die arrogant aus Berlin und Brüssel diktiert wurde, regten sich in diesen Ländern beträchtliche Widerstände. Weitere Konflikte, etwa um die Reform des Rechtswesens in Polen und die Abwehr gegenüber der Diversity-Ideologie, blieben nicht aus.Die Autoren, der bulgarische Politologe Ivan Krastev und sein amerikanischer Kollege Stephen Holmes,  widmen sich weiter dem Phänomen „Putin“, überhaupt dem antiwestlichen Kurs Rußlands. Wie bei vielen Kommentatoren außerhalb des Landes ist ihr Blick zu sehr von Dämonisierung und zu wenig von Einfühlung geprägt. Die bekannten Entscheidungen der letzten Jahre, beispielsweise das Auftreten in Syrien wie der Anschluß der Krim, dürften in der Tat eine Reaktion auf die häufige Demütigung des Riesen sein. Der Nato-Krieg vor gut zwanzig Jahren in Ex-Jugoslawien ist noch in guter Erinnerung wie die Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten. Noch größere Sorgen dürfte den russischen Staatsmännern langfristig der absehbare ökonomische wie demographische Niedergang bereiten.

Seit der Wahl Trumps hat das „erlöschende Licht“ auch die USA erreicht. Krastev und Holmes können es nicht fassen, daß der amtierende US-Präsident nationale Interessen so affirmativ in den Vordergrund stellt und eingesteht, daß man bei Eingriffen in die staatliche Autonomie nicht einfach nur mit dem Finger auf andere zeigen kann. Daß die Parole „America first“ keine böse ist, sondern auf die jahrzehntelange Überdehnung der eigenen Ressourcen reagiert – dazu bedarf es eigentlich keiner besonders intelligenten Analyse. Auch die sprichwörtlichen alten weißen Männer haben ihr Pulver noch nicht verschossen. Deren Bewußtsein von der natürlichen Dominanz hat aber infolge der Einwanderungspraxis der letzten Jahrzehnte gelitten. Insofern ist die neue Weichenstellung der US-Politik nach 2016 weniger unverständlich, als intellektuelle Kritiker zumeist meinen.

Eine andere Alternative zum westlichen Politikmodell bedeutet der chinesische Weg. Er vereinigt autoritäre Kontrolle mit hoher ökonomischer Leistungsfähigkeit. Auch hier boomt der Illiberalismus, wenn auch kulturell anders fundiert.

Viele Beobachtungen der beiden Autoren sind durchaus zustimmungsfähig. Freilich sind sie zu sehr Partei und zu sehr der „Religion des Liberalismus“ verpflichtet, um die Widerstände dagegen begreifen zu können. Insofern stellt die Schrift weniger eine „Abrechnung“ dar als eine fast vorbehaltlose Lobhudelei von Universalismus und Liberalismus. 

Ivan Krastev, Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung. Ullstein-Buchverlage, Berlin 2019, gebunden, 366 Seiten, 24,99 Euro