© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Der Flaneur
Schatzsucher im Gruselhaus
Bernd Rademacher

Der Architektenfreund ruft an: „Du bist doch immer auf der Jagd nach Büchern und altem Kram.“ Er hat einen heißen Tip:  In der noblen Wohnsiedlung auf dem Hügel am See steht ein Einfamilienhaus leer. Der Besitzer, ein Richter, ist kürzlich verstorben. „Das Haus ist noch voll. Wenn’de willst, kannste gucken, ob’de was brauchen kannst.“ Wir verabreden uns für den Nachmittag.

In dem Geviert schmaler stiller Wohnstraßen ist es nicht leicht, sich zurechtzufinden. Die Hecken, Häuser, Auffahrten – alles sieht gleich aus. Nach dem Krieg kosteten die Grundstücke 50 Pfennig pro Quadratmeter. So ließ sich der Traum vom ruhigen Eigenheim im Grünen verwirklichen. Heute ist die Lage unbezahlbar.

Aufnahmen von Catherine Deneuve hat der Besitzer an die Wände geklebt.

Das Haus eines Richters – da stellt man sich Akten vor, geschmackvolle Gemälde oder Kunstdrucke, vielleicht verstaubte Jagdtrophäen, dunkle Schränke mit Kristallgläsern, tiefe Polstersofas oder Ledersessel.

Das muß es sein: Die Rolläden sind heruntergelassen, der Garten verwildert, Pionierpflanzen haben die Pflasterung erobert. Ach du lieber Gott, hinter der Haustür das Chaos. Die untere Etage ist völlig vermüllt und verwahrlost. Offensichtlich waren schon „Schatzsucher“ hier, denn die Zucker- und Kaffeedosen aus dem Küchenschrank wurden ausgeleert – die typischen Bargeldverstecke älterer Leute.

Im Obergeschoß offenbaren sich bizarre Neigungen: Neben einer stattlichen Sammlung geleerter Spirituosenflaschen aus aller Welt finden sich zahllose VHS-Kassetten und DVDs – alles Pornos. Es müssen Hunderte sein. Außerdem hat der Richter französische Filmzeitschriften abonniert, alle Titel mit Porträts von Catherine Deneuve auf Großformat kopiert, in Folie laminiert, sauber auf Karton aufgezogen und damit die Wände dekoriert.

Nichts wie raus hier. Das Gruselhaus krümmt mein Bild integrer Rechtsprechung – aber in bezug auf die Deneuve hatte der Jurist immerhin Geschmack.