© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Architektur
Renaissance der Baukunst
Dieter Stein

Es ist merkwürdig, warum das moderne Gesicht unserer Städte und Siedlungen so häßlich ist. Obwohl private und staatliche Bauherren viel Geld ausgeben und die technischen Möglichkeiten groß sind, bleiben die Ergebnisse in der Regel dürftig. Warum zieht es uns bei Ausflügen stets zu alten, gewachsenen Plätzen und Gebäuden? Warum wohnen wiederum, wie es heißt, die meisten Architekten zeitgenössischer Bauwerke selbst am liebsten in Altbauten? 

Die Mut- und Einfallslosigkeit ist erschütternd, die unsere neuere Architektur prägt: Wir irren über phantasielos zugestellte, zugige Areale wie den Potsdamer Platz in Berlin, dessen dröge Gebäude auf der grünen Wiese stehen könnten. Dabei ist es in der Hauptstadt noch ein Segen, daß die Bauordnung Neubauten wenigstens in die maßvolle Berliner Traufhöhe zwingt und nur in Ausnahmefällen Hochhäuser zuläßt, die sich dann in ihrer uniformen Kälte überbieten.

Der Staat selbst versagt als Bauherr und gibt ein Negativbeispiel: Einer der ästhetischen Tiefpunkte ist das Bundeskanzleramt und die Neubauten des Bundestages. Hier demonstriert die öffentliche Hand die Weigerung zur Form und treibt sie auf die Spitze. Wie ein Atomkraftwerk oder eine Müllverbrennungsanlage wirkt der Amtssitz der Kanzlerin, während das Ensemble von Paul-Löbe- und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus auch ein Hochregallager eines Internetversandhauses oder eine Haftanstalt beherbergen könnte. Traditionslosigkeit und politisch-moralische Hybris haben sich hier ein Denkmal geschaffen.

Repräsentative öffentliche Architektur ist steingewordenes Antlitz und Wille des Staates zur Form. Die aktuellen Gebäude werden stupide aus den kalten Materialien Beton, Stahl und Glas gefertigt und setzen seelenlose Funktion anstelle von sinnlicher Ästhetik. Was ist Ästhetik? Laut Definition die Lehre von Schönheit und sinnlicher Anschauung. 

Wenn der Staat sich verweigert, können wenigstens private Bauherren Alternativen schaffen. Viele Rekonstruktionen der vergangenen Jahre – Dresdner  Frauenkirche, Berliner Stadtschloß und Frankfurter Altstadt – gehen nicht zufällig auf Privatinitiative und bürgerschaftliches Engagement zurück.

Auch Einfamilien- oder Reihenhäuser müssen nicht wie monotone Schuhkartons aussehen, sie dürfen bewährte Formen und klassische Proportionen haben. Wie sich Eltern und Lehrer gegenseitig bei der Kindererziehung zu Autorität ermuntern können, sollten private Bauherren der Phantasielosigkeit und Einfalt trotzen, mit der Häuser auch aus Bequemlichkeit häßlich geplant werden. Schöne Häuser müssen dabei nicht zwangsläufig teurer sein – dies zeigten übrigens schon die Siedlungshäuser der 1920er und dreißiger Jahre. Daß es auch heute einige Architekten gibt, die ästhetisch und traditionell bauen, zeigen wir in dieser Ausgabe.