© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Hoffen auf Normalisierung
Brasiliens Tourismus-Minister Marcelo Alvaro im Interview: Der Schaden durch Corona ist bereits immens
Wolfgang Bendel

Herr Minister, meines Wissens ist es für brasilianische Staatsbürger nach wie vor nicht möglich, nach Deutschland einzureisen. Ausnahmen betreffen Brasilianer, die in Deutschland einen Aufenthaltstitel besitzen oder dort mit einem Bürger der EU verheiratet sind. Ist Ihnen bekannt, wie die umgekehrte Situation ist? Können deutsche Touristen wieder nach Brasilien einreisen, und wenn ja unter welchen Bedingungen?

Marcelo Álvaro Antônio: Seit Ende Juli ist die Einreise von Ausländern auf dem Luftweg grundsätzlich wieder gestattet. Das gilt natürlich auch für Deutsche. Da sich die Bestimmungen immer wieder kurzfristig ändern können, empfiehlt es sich aber, bei der zuständigen Stelle des brasilianischen Außenministeriums nachzufragen. Natürlich kann man auch die brasilianischen Konsulate in Deutschland konsultieren.

Gibt es Daten, die zeigen, wie groß der Schaden ist, den Covid-19 bislang angerichtet hat?

Álvaro: Der Schaden ist bereits immens. Jüngste Erhebungen ergaben, daß von Anfang März bis Ende Juli die Tourismusindustrie in ganz Brasilien 153 Milliarden Reais (ein Euro entspricht etwa sechs Reais, Stand August 2020) weniger in Rechnung stellte als im Vorjahr. Aber es ist ja nicht nur die Tourismusindustrie, also das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie die Reiseveranstalter, die betroffen sind, sondern auch das gesamte Umfeld. Dazu gehören Taxiunternehmer, kleine Gewerbetreibende, Souvenirläden, der öffentliche Transport, also Bus- und Flugunternehmen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Tourismusbranche ist üblicherweise die erste, die unter solchen Ereignissen leidet und die letzte, die sich davon wieder erholt.

Wie viele Menschen verloren durch die CoronaKrise ihren Arbeitsplatz?

Álvaro: Das kann ich nicht genau beziffern, aber sicherlich sind es Zehntausende. Bedenken Sie, allein Porto Seguro verfügt bei einer Einwohnerzahl von 150.000 über 52.000 Gästebetten. Diese stehen seit Monaten in weiten Teilen leer. Deshalb waren viele Besitzer von Hotels und Pousadas und natürlich auch von Restaurants, Bars und Strandkneipen gezwungen, circa 80 Prozent der Belegschaft zu entlassen. Angesichts dieser Zahlen können Sie sich gut vorstellen, wie fatal die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt landesweit sind.

Wie sehen Sie die Zukunft des Tourismus in Brasilien? Wann wird sich Ihrer Meinung nach die Situation wieder normalisieren?

Álvaro: Wie schon angedeutet, eine solche Normalisierung wird einige Zeit brauchen. Wir müssen lernen, mit dem Coronavirus zu leben. Natürlich sind wir einerseits gehalten, alles zu tun, um die Sicherheit zu gewährleisten und das Leben der Menschen zu schützen. Andererseits ist es genauso wichtig, Arbeitsplätze zu bewahren und die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Das Virus wird nicht einfach verschwinden. Um hier einen Ausweg zu finden, führten wir ein Sicherheitssiegel (selo de segurança) ein, das garantiert, daß sowohl die Sicherheitsbestimmungen als auch das Überleben der Tourismusbranche berücksichtigt werden. Einige lokale Verwaltungen übernahmen dieses Konzept bereits, und die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.

Welche Bedeutung besitzt eigentlich der Tourismus in Brasilien?

Álvaro: Die Vorgängerregierungen unterschätzten das Potential des Tourismus sehr. Brasilien ist ein wunderschönes Land, das Reisenden viel zu bieten hat. Präsident Bolsonaro wies bereits in seiner Wahlkampagne darauf hin, daß er beabsichtigt, diesen Zweig der Wirtschaft besonders zu fördern. Mit Erfolg. Bereits 2019, also im ersten Jahr seiner Präsidentschaft, wuchs die Tourismusindustrie um 2,6 Prozent, während das BSP insgesamt nur um 1,1 Prozent zunahm. Dieser schöne Erfolg wurde durch die Corona-Krise unterbrochen. Aber wir sind entschlossen, den Erfolgskurs wieder aufzunehmen.      






Marcelo Álvaro Antônio ist seit Beginn der Präsidentschaft Jair M. Bolsonaros Minister für Tourismus in Brasilien. Ende 2018 wurde er für den Bundesstaat Minas Gerais ins Abgeordnetenhaus gewählt, wobei er dort die meisten Stimmen aller Kandidaten erhielt. Álvaro ist Mitglied der rechtsgerichteten Partido Social Liberal (PSL). Der Minister ist Jahrgang 1974 und im Hauptberuf Unternehmer.