© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Grüße aus Bern
„Es isch verbote!“
Frank Liebermann

Die Corona-Zeit hat die Anzahl der Hobby-Sheriffs in Bern explodieren lassen. Sie weisen ungefragt ihre Mitmenschen auf potentielle Fehler hin. 

Zwei Tage nach Einführung der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln saß ich im Zug. Dieser war fast leer. Die wenigen anwesenden Personen verteilten sich jeweils auf ein Viererabteil. Dort sah ich eine junge Frau, um die zwanzig Jahre alt. Sie trug als einzige im Zugabteil keine Maske. Also eigentlich hatte sie eine auf, aber die bestand aus dicker Schminke. Und das zählt auch in der Schweiz nicht als Coronaschutz! 

„Verstört drehte ich meinen Kopf weg, woraufhin die Dame einfach lauter plärrte.“

Eine andere Zugreisende bemerkte dies ebenfalls. Die ergraute Dame mit praktischem Kurzhaarschnitt und einer neckischen roten Brille schaute erbost umher. Kurze Zeit später schrie sie über die Sitze hinweg zu der Sünderin in Mundart: „Es hörscht Maskepflicht!“ Da keinerlei Reaktion kam, wiederholte sie ihr Ansinnen ein paarmal und glotzte zu mir, vermutlich in der Hoffnung auf Unterstützung. Etwas verstört drehte ich meinen Kopf in die andere Richtung, woraufhin die Dame ihre Aussage einfach mit mehr Lautstärke plärrte.

 Genervt sagte die Angesprochene: „Ich kann keine Maske tragen.“ Das unterbrach das Lamento kurzfristig, es trat ein kurzes Schweigen ein. Auf die Frage nach dem Grund, antwortete sie, „Ich bin geschminkt!“ Blöderweise mußte ich jetzt lachen, was die Dame trotz meines Gesichtsschutzes bemerkte. Daraufhin wurde ich mit einem scharfen Blick fixiert, und sie wiederholte langsam ihren Satz: „Es hörscht Maskepflicht.“ Verschüchtert nickte ich und schlich mich zum Ausgang. 

Am Tag darauf begab ich mich in ein geschätztes Café, um in Ruhe Zeitung zu lesen. An jedem Tisch war die Anzahl der Gäste aufgeklebt, die maximal dort sitzen dürfen. Am Nachbartisch saß ein Paar in mittlerem Alter, das sich unterhielt. Wenig später kam eine andere Dame vorbei. Die freundliche Begrüßung, bei der der notwendige Abstand gewahrt wurde, zeigte, daß sich die Personen gut kannten. Es entstand ein lockeres Gespräch, welches eine unangenehme Wendung nahm, als die sitzende Frau die stehende einlud, am Tisch Platz zu nehmen. Der Mann mahnte sofort, „Bloß für zwei Personne!“ Als seine Begleitung sagte, er solle sich nicht so anstellen, bekam er einen roten Kopf und rief laut: „Es isch verbote!“ Bedröppelt zog die andere Dame davon, während sich die eine für ihren Mann entschuldigte.