© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Helfen in der Not
70 Jahre THW: Die blauen Engel sind stets zur Stelle, wenn es brenzlig wird
Zita Tipold

Es muß mal wieder schnell gehen. Nur wenige Stunden nach den verheerenden Explosionen in der libanesischen Hauptstadt Beirut am 4. August schickt das Technische Hilfswerk (THW) bereits am Abend des 5. August erste Kräfte.

 Im Auftrag der Bundesregierung brach ein Team der Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland (SEEBA) sowie ein Botschaftsunterstützungsteam in den Libanon auf. THW-Vizepräsidentin Sabine Lackner verabschiedete die insgesamt 50 Einsatzkräfte am Frankfurter Flughafen: „Vor Ort werden unsere Einsatzkräfte unter anderem die Lage erkunden und beurteilen, Verschüttete lokalisieren und retten, Gebäudeschäden beurteilen und die Botschaft unterstützen. Ich wünsche allen Helfern viel Erfolg – kommen Sie gesund wieder.“

Die SEEBA-Kräfte sind die Spezialisten für Rettung und Bergung in Katastrophengebieten, beispielsweise nach Erdbeben. Ausgestattet mit moderner Technik und Suchhunden suchen die Helferinnen und Helfer nach Überlebenden. Innerhalb von wenigen Stunden nach ihrer Alarmierung stehen die SEEBA-Kräfte zum Abflug bereit. Ihre Ausrüstung ist in Leichtmetallkisten verpackt und kann so in herkömmlichen Verkehrsflugzeugen transportiert werden. 

THW hilft auch im Libanon, Mosambik oder in Tunesien

Fünf Tage beendete das THW nach Absprache mit den Behörden vor Ort die Rettungsmaßnahmen. 72 Stunden nach dem Unglück sinke die Chance rapide, Überlebende zu finden, erklärte THW-Präsident Gerd Friedsam. Daher werde ein Großteil des Teams eine Woche nach dem Unglück zurück nach Deutschland fliegen. Insgesamt 18 Helfer blieben noch bis zum 13. August im Libanon, darunter 14 Kräfte der SEEBA sowie das vierköpfige Botschaftsunterstützungsteam. Sie prüften weitere Gebäude auf ihre Substanz hin.

Ob ein brisanter Einsatz im Ausland oder die beinah tägliche Unterstützung bei Bränden, Unfällen oder Hochwasser – die blauen Engel sind stets zur Stelle, wenn es brenzlig wird. Im Kampf gegen Corona bauten THW-Helfer eine Schul-Sporthalle kurzerhand in ein Testzentrum um. Sie deckten den sensiblen Hallenboden ab, stellten Sperrgitter auf und entwarfen einen Plan, wie Schul- und Testbetrieb ohne Gefahr parallel zueinander stattfinden können. Obwohl einige der Helfer selbst zur Risikogruppe gehörten, stellten sie sich der Aufgabe. 

Seit nun 75 Jahren dient das Technische Hilfswerk (THW) bei Katastrophenfällen in Deutschland und dem Ausland. „Das verdanken wir dem vorbildlichen Engagement der Helfer, ihrem gelebten Gedanken der Solidarität“, lobt Präsident Friedsam seine Mannschaft. „Allein im Jahr 2019 waren THW-Kräfte mehr als 1,2 Millionen Stunden bei Übungen, Einsätzen und sonstigen Hilfeleistungen gefragt“, schildert er. Sie löschten Großbrände, kämpften gegen Schneemassen und bauten Brücken. 

Die Helfer sind aufwendige und strapaziöse Einsätze gewohnt. So wie beim Jahrhunderthochwasser im Jahr 2002. Damals waren rund 24.000 THW-Kräfte in ihren blauen Einsatzuniformen sechs Wochen lang ununterbrochen gefordert. Sie pumpten Wasser ab, evakuierten Menschen, beschützten Städte und historische Gebäude vor den Fluten und verbauten Millionen von Sandsäcken. Auch als die Gefahr vorüber war, gab es für die Helfer noch kein Aufatmen, denn sie packten auch bei den Aufräumarbeiten mit an. 

Um so bemerkenswerter ist es, daß das Technische Hilfswerk zu 98 Prozent aus Ehrenamtlichen besteht. Es gehört organisatorisch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und wird somit staatlich finanziert. Gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes leistet es immer dann Amtshilfe, wenn die Polizei Aufgaben nicht oder „nur unter erheblichen Schwierigkeiten“ erfüllen könnte. 

Es unterstützt den Staat im Ernstfall zum Beispiel bei der Trinkwasser- oder Elektroversorgung. Zudem kann es mit seinem modernen Einsatzgerät, darunter auch Militärgeräte der Bundeswehr und Fahrzeuge der ehemaligen NVA, so mancher Gefahr trotzen. 

2019 stand der 80.000 Mann starken Truppe ein Etat von 281,6 Millionen Euro zur Verfügung. Eine der größten Ausgaben waren Personal- und Mehraufwandsentschädigungen. Zum einen müssen die rund 1.800 Hauptamtlichen bezahlt werden, aber auch Ehrenamtliche bekommen einige Dinge erstattet, wie Fahrtkosten oder Lehrgänge. Einsätze im Inland erforderten 1,97 Millionen Euro. 

Die Truppe richtet sich aber immer internationaler aus. Sie arbeitet mit den Vereinten Nationen zusammen und beteiligte sich am Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union. 16,47 Millionen Euro gab die Bundesanstalt 2019 für Einsätze, Projekte und Ausbildungen im Ausland aus.

 Einige THW-Kräfte waren im vergangenen Jahr zum Beispiel in Tunesien unterwegs, wo sie mit dem Zivilschutz des Landes zusammenarbeiteten. Dort wollten sie helfen, die Demokratie zu stabilisieren. In Gambia unterstützten sie die deutsche Polizei beim Wiederaufbau einer Polizeiakademie. In Mosambik halfen sie bei der Trinkwasseraufbereitung und Brunneninstandsetzung. 

 „Die THW-Kräfte sind hervorragend ausgebildet und darauf vorbereitet, im Gefahrenfall professionell zu agieren und zu reagieren“, schildert THW-Chef Friedsam. Wer mit anpacken will, muß sich zunächst einer Grundausbildung mit einer umfangreichen Mischung aus Theorie und Praxis unterziehen. Am praktischen Prüfungstag muß alles abrufbar sein. Beim Theorie-Teil ist es wie bei einer Führerscheinprüfung: Wer ordentlich lernt, besteht. Die praktische Prüfung ist schon eine größere Herausforderung. Von der Bedienung einer Kettensäge bis hin zur Bearbeitung verschiedener Materialien müssen die Anwärter das Erlernte unter Beweis stellen. 

Wenn sie bestehen, haben sie den Helferstatus erlangt und somit die erste von drei möglichen Ausbildungsstufen abgeschlossen. Danach folgt die Fachausbildung, die die Helfer auf fachspezifische Aufgaben vorbereitet. Der dritte Schritt ist die Weiterbefähigung. Zur Ausbildung gehört jedoch auch zu lernen, wie man „tolerant“ und „respektvoll“ mit Minderheiten umgeht. Die Helfer werden im Bereich „sexueller Vielfalt“ und „Antirassismus“ geschult. Der ehemalige THW-Präsident Albrecht Broemme unterstützte diese Entwicklung hin zu einem „diskriminierungsfreien THW“, denn für ihn war klar, „daß Vielfalt und Individualität, Respekt und Toleranz zu den selbstverständlichsten Dingen der Welt gehören“ müßten.

 Die Organisation will „bunt“ und „divers“ sein. Einer ihrer acht Leitsprüche lautet: „Wir setzen uns für die Vielfalt unserer Gesellschaft auch im THW ein.“ Auch eine Distanzierung von Extremismus, konkret vom Rechtsextremismus, ist für das THW wichtig. Rechtsextreme sollen, so das THW, im Hilfswerk keinen Platz finden. „Wir haben dieses Problem schon vor zehn Jahren erkannt. Deshalb haben wir Schulungen auf allen Leitungsebenen gemacht, um überhaupt zu erkennen, wer zu so einer Gruppe gehört und was man dann tun kann“, erklärte Broemme dem General-Anzeiger. 

Vorläufer des THWs ist die Technische Nothilfe (TN). Ihr Gründer war Otto Lummitzsch. Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges hatte sich der Leutnant der Reserve der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin angeschlossen. Angesichts folgender politischer Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen reifte in ihm die Idee, eine Organisation auf freiwilliger Grundlage zu schaffen, die Staat und Bevölkerung in Notlagen technische Hilfe leisten sollte. Im Januar 1919 konnte er im Garde-Kavallerie-Schützen-Korps die erste Technische Abteilung aufstellen. 

Unter dem Namen „Technische Nothilfe“ (TN) leitete Lummitzsch ab 1919 diese staatliche Freiwilligenorganisation. Noch im gleichen Jahr wurde die Zuständigkeit der TN dem Reichsinnenministerium übertragen. Nach Angaben der Historischen Sammlung des THW fiel die TH in der Zeit des Nationalsozialismus der Gleichschaltung zum Opfer. Lummitzsch wurde 1934 als Leiter abgesetzt, da er sich geweigert haben soll, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen.

1950 beauftragte der damalige westdeutsche Innenminister Gustav Heinemann Lummitzsch mit dem Aufbau eines zivilen Ordnungsdiensts für die Bundesrepublik. Der Gründungstag des THW wird seither traditionell am 22. August gefeiert. Seit 1953 ist das THW durch den Errichtungserlaß des Bundes-innenministeriums eine Bundesanstalt.

Vor diesem Hintergrund dürfte sich das Technische Hilfswerk auf weitere erfolgreiche Jahre freuen, denn an Nachwuchs mangelt es der tatkräftigen Bundesanstalt nicht. Bei der Jugendgruppe im Landesverband Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt werden derzeit sogar Wartelisten geführt, weil das Interesse für den guten Zweck so groß ist, sagte der THW-Sprecher Ulf Walkling der JUNGEN FREIHEIT.