© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Ein tiefer Stachel für die Beziehungen
Der Zweite Wiener Schiedsspruch von 1940 und ein gescheiterter Ausgleich zwischen Rumänien und Ungarn
Erich Körner-Lakatos

Für das Königreich Ungarn, an dessen Spitze 1940 Admiral Nikolaus von Horthy als „Reichsverweser“ steht, war seit 1919 die Revision der im Diktat von Trianon auferlegten Grenzen ein zentraler Punkt der Außenpolitik. Ein erster Erfolg stellte sich im Spätherbst 1938 ein. Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen Budapest und Prag fällten die Achsenmächte am 2. November 1938 den Ersten Wiener Schiedsspruch. Dadurch gewannen die Magyaren den ungarisch besiedelten Süden der Slowakei und der Karpato-Ukraine zurück. 

1940 rückte Siebenbürgen immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Am 10. Juli führten die Ungarn in München Gespräche mit Hitler. Der erkannte zwar die Forderung bezüglich Siebenbürgens an, riet aber von einer bewaffneten Lösung ab. Admiral Horthy erinnerte sich in seinen Memoiren: „Im Interesse der Vermeidung eines militärischen Zusammenpralls haben die Achsenmächte auf uns und auf Rumänien nachdrücklich eingewirkt, wir sollten eine Lösung der Siebenbürgen-Frage auf dem Verhandlungsweg finden.“

Daher begannen am 16. August Gespräche im rumänischen Turnu-Severin. Bukarest bietet die bloße Autonomie der magyarisch besiedelten Gebiete oder einen Bevölkerungsaustausch an. Letzteres entbehrte allerdings jeder Logik, weil es praktisch keine Rumänen innerhalb der Grenzen Ungarns gab. Die ungarischen Forderungen sahen hingegen eine Teilung Siebenbürgens vor; die Grenze sollte entlang des Flusses Maros verlaufen, jedoch das weit im Südosten liegende Széklerland mit einschließen, obwohl dazwischen ein breiter Gebietsstreifen liegt, der mehrheitlich rumänisch oder von Siebenbürger Sachsen bewohnt war. Die Verhandlungen wurden schließlich nach gut einer Woche ohne jede Annäherung abgebrochen. 

Am 26. August erfolgte die Generalmobilmachung in Ungarn. Am Tag darauf kommt es über Debreczin zu einem Luftgefecht. Ein Krieg um Siebenbürgen erscheint unabwendbar; die Regierung in Budapest legt als Beginn des Einmarsches den 28. August fest.

Zahlenmäßig betrachtet hat Ungarn gegen Rumänien, das 1,6 Millionen Mann unter Waffen hat, wenig Erfolgsaussichten. Das liegt auch an der Schwäche der magyarischen Luftwaffe mit 320 Maschinen, meist aus veralteter italienischer Fabrikation. Hingegen konzentriert die rumänische Armeeführung allein in Siebenbürgen mindestens 330 Jagdflugzeuge.

Zum Vorteil gereichte den Ungarn, daß die Sowjetunion im August 1940 starke Verbände an der Grenze zu Bessarabien massierte, so daß der Großteil des rumänischen Heeres dort gebunden war; einige Einheiten behielt Bukarest zudem im Süden, um die bulgarischen Ambitionen auf die Süd-Dobrudscha zu zügeln. Dadurch standen in Siebenbürgen den 23 Divisionen Ungarns nur acht bis zehn rumänische Verbände gegenüber. 

Im letzten Moment ergriffen Deutschland und Italien, auf rumänische Bitte hin, die Initiative zu einem Schiedsverfahren. Besonders Berlin wollte eine Konfrontation zwischen Ungarn – dem Waffengefährten aus dem Ersten Weltkrieg – und Rumänien, das wegen seiner reichen Ölvorkommen wehrwirtschaftlich bedeutsam war, vermeiden. Daher lud man die Außenminister der Streitmächte nach Wien ein.

Ohne nennenswerte Verhandlungen, wie es vor allem die rumänische Delegation erwartete, erfolgt am 30. August 1940 im Schloß Belvedere der Zweite Wiener Schiedsspruch durch die Außenminister Deutschlands und Italiens, Joachim von Ribbentrop und Gian Galeazzo Graf Ciano. Danach fällt Nord-Siebenbürgen (einschließlich des Széklerlandes) an Ungarn. Bei der Präsentation des Teilungsplans – den Rumänen wird immerhin der Verlust von über 43.000 Quadratkilometern mit mehr als zweieinhalb Millionen Bewohnern zugemutet – erleidet der rumänische Außenminister Mihai Manoilescu einen Herzanfall. 

Der Schiedsspruch räumt den Bewohnern Siebenbürgens ein Optionsrecht ein. 200.000 Rumänen ziehen aus Nord-Siebenbürgen in den rumänisch bleibenden Süden, umgekehrt wandern 160.000 Magyaren aus Süd-Siebenbürgen in den Nordteil.

Massive Proteste gegen das Resultat in Rumänien

Die deutsch-italienische Entscheidung wird von Rumäniens König Carol II. und seinem Kronrat mit 19 zu 11 Stimmen) akzeptiert. Der Monarch sieht in der Annahme des Wiener Schiedsspruches die einzige Möglichkeit, eine Gewährleistung der Staatsgrenzen durch die Achsenmächte zu erreichen. Einige Wochen später erfolgt die erwünschte Garantie für Rumpf-Rumänien. 

In der ersten Septemberhälfte besetzt die Honvéd-Armee das zugesprochene Gebiet. Während sich Reichsverweser Horthy feiern läßt, überstürzen sich in Bukarest die Ereignisse. Vor dem Königsschloß demonstrieren Menschenmassen. Die Empörung ist groß, da wiederum ein Teil des Landes waffenlos preisgegeben worden ist. Die Wut richtet sich vor allem gegen den König. Eine Woche nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch muß der Monarch zugunsten seines Sohnes Michael abdanken, der fortan dem General Ion Antonescu die Zügel überläßt.