© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

„Alle Naturreservate geplündert und zerstört“
Mehr Bedrohung als Schutz der Megafauna von Mali bis Jemen / Islamisten sind keine Artenschützer
Dieter Menke

Vorige Woche wurden bei Islamisten-Überfällen im Grenzgebiet zwischen Obervolta (Burkina Faso) und Niger 28 Menschen ermordet. Die 20 Einheimischen, die von bewaffneten Motorradfahrern im Namen Allahs auf einem Viehmarkt in Namoun­gou brutal abgeschlachtet wurden, fanden in den deutschen Leitmedien keine Beachtung. Die sechs Entwicklungshelfer der französischen Agentur für technische Zusammenarbeit und Entwicklung (Acted), ihr Touristenführer sowie deren Fahrer, die auf ähnliche Weise sechs Kilometer östlich der Kleinstadt Kouré grausam zu Tode kamen, wurden immerhin unter „Vermischtes“ vermeldet.

Doch die acht Islamisten-Opfer waren keine unverantwortlichen Abenteurer, sondern Teilnehmer eines normalerweise 1.260 Dollar teuren, touristisch stark beworbenen Kurztrips zum Tierschutzgebiet „Kouré Giraffe Reserve“, das lediglich 45 Kilometer außerhalb von Niamey, der Haupstadt des Niger, liegt. Ihr Wochenendausflugsziel war das Habitat der Westafrikanischen Giraffe (Giraffa camelopardalis peralta).

Trübe Aussichten für Elefant, Giraffe und Gepard

Der Bestand dieser eigenständigen Unterart der Giraffen-Familie war dort vor 25 Jahren auf etwa 50 Tiere gesunken. Seitdem sie unter Schutz stehen, konnte sich die Population auf über 600 Tiere vermehren – auch dank spendabler Safari-Touristen und Artenschützer aus Europa, Amerika und Asien.

Wie die jüngste Bluttat beweist, bleibt es aber eine fragile Hoffnung der bitterarmen, durch ihre Bevölkerungsexplosion wirtschaftlich ausgebremsten Republik Niger, aus Safaris nach ostafrikanischem Vorbild Profit ziehen zu können. Was bei Kouré geschah, ist im Ländergürtel zwischen Mauretanien und den Golf-Emiraten Normalität: der sich parallel zur Islam-Expansion vollziehende Niedergang des Tier- und Umweltschutzes.

In Libyen, Syrien, dem Irak und Jemen sei die Lage für einige Arten der Megafauna dramatisch bis hoffnungslos, bilanziert Ulrich Joger, Direktor des Staatlichen Naturhistorischen Museums Braunschweig, seine reichen Erfahrungen als in der Region seit Jahrzehnten engagierter Forscher (Naturwissenschaftliche Rundschau, 5/20). Insgesamt seien die Zukunftsaussichten auch für Elefant, Giraffe oder Gepard durchweg „trübe“.

Der Rückgang der dortigen Megafauna setzt jedoch nicht erst mit den Islamisten ein. Für den ersten Schub im frühen 20. Jahrhundert sei die exzessive Bejagung durch die englischen und französischen Kolonialherren verantwortlich – in Komplizenschaft mit den jagdbegeisterten Stammesfürsten Arabiens. Im Zuge der Entkolonialisierung fanden vermehrt Jagdexpeditionen aus den reichen Golf-Staaten in ärmere Länder mit noch üppigen Wildbeständen wie den Sudan statt.

Dabei wurden Naturschutzgesetze ignoriert, was als organisierte Wilderei großen Stils zu bewerten sei. Den dritten Schub bewirkten dann „islamistisch geprägte Aufstände“, die ganze Staaten destabilisierten und zu Gesetzlosigkeit, weiter Verbreitung von Geländeautos und automatischen Waffen sowie zu staatlichem Kontrollverlust führten.

Von 2011 bis 2017 verfünffachte sich die Zahl bewaffneter Konflikte in der Region Sahara/Sahel. Gleichzeitig verminderten sich die Bestände von acht der zehn untersuchten Arten signifikant. Beste Beispiele dafür seien der steile Anstieg getöteter Dorkasgazellen (Gazella dorca) sowie die Verluste an gewilderten Elefanten in Mali. Ähnlich entwickelten sich die Dinge nördlich der Sahara und auf der Arabischen Halbinsel.

Während des „Arabischen Frühlings“ ging die Kontrolle über den tunesischen Bouhedma-Nationalpark verloren, Zäune wurden zerstört, Viehherden in Teile des Parks getrieben. Wiederangesiedelte Strauße und Mhorrgazellen „verschwanden“, und die letzten Exemplare des von Wilderern zur Strecke gebrachten Bestandes an Addaxantilopen mußten in einen anderen Park umgesiedelt werden. Zehn Jahre danach läuft ein Projekt zur Wiederansiedlung der Addax, mit mehr als 100 dieser Antilopen. Die Lage in Algerien und Libyen erlaubt es aber nicht, sie in grenzüberschreitenden Wüstengebieten umherstreifen zu lassen.

Auf direktem Weg ins sozioökonomische Chaos

In dem von schleichender Islamisierung erfaßten Mali, wie Niger wegen der Geburtenrate von sieben Kindern pro Frau auf dem Weg ins sozioökonomische und ökologische Chaos, standen die letzten Elefanten während der 2012 bürgerkriegsähnlich eskalierten Kämpfe zwischen den hirtennomadischen Tuareg, Islamisten und der Zentralregierung in Bamako schon auf dem Aussterbeetat. Heute leben von diesen regionalen „Wüstenelefanten“ (Loxodonta africana) noch 250 Tiere. 2010 waren es noch über 400. Die überlebenden „grauen Riesen“ verdanken ihr Überleben wohl der Opération Serval, der internationalen Militärintervention in Mali.

Auf eine solche Hilfe warten die Leoparden und Berggazellen vergeblich in dem vom Iran und Saudi-Arabien befeuerten jemenitischen Bürgerkrieg. Hier stehen die Aussichten für einen effektiven Schutz der Großtierarten so schlecht wie in Syrien und im Irak. Der vorerst letzte Erfolg der Artenschützer manifestierte sich in einem Rückzug: Kurz vor dem Einmarsch des „Islamischen Staats“ (IS) ließen sich aus dem syrischen Talila-Reservat zur Auswilderung vorgesehene Oryxantilopen evakuieren.

Der extrem seltene Waldrapp (Geronticus eremita), eine schwarzgefiederte Ibis-Art, hatte dagegen weniger Glück. Als syrische Truppen den Lebensraum einer kleinen Population Waldrappe bei Palmyra zurückeroberten, stellten sie fest, daß kein Exemplar die IS-Okkupation überlebt hatte. In allen vom IS zeitweilig besetzten Landesteilen Syriens seien die wenigen überhaupt vorhandenen Naturreservate geplündert und zerstört worden.

In dem ganzen Desaster entdeckt Joger aber auch einige „Oasen der Stabilität“. Jordanien etwa, das 1990 mit dem Biosphärenreservat Dana südöstlich des Toten Meeres ein Vorzeigeprojekt schuf, das heute über 700 Pflanzenarten und 190 Vogelarten zählt. Das Königreich führe vor, wie auch in einem arabischen Land der Natur Rückzugsräume zu erhalten sind. Dabei müssen friedliche Verhältnisse vorausgesetzt sein, so wie im Sultanat Oman, wo man sich um den Schutz der letzten arabischen Leoparden und der Thar-Steinböcke verdient mache. In beiden Ländern klappte es freilich gut mit der sozioökomischen Einbindung der Bevölkerung. In dieser sich bereits abzeichnenden erfolgreichen Aktivierung lokaler Hirten und Bauern sieht Joger sogar eine Rettungsperspektive für die Elefanten in Mali und die Giraffen im Niger.

Staatliches Naturhistorisches Museum:  3landesmuseen-braunschweig.de

Biosphärenreservat Dana:  rscn.org.jo

Kouré Giraffe Reserve:  www.nigertravelandtours.com