© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Merkels Hypothek
Fünf Jahre „Wir schaffen das“: Als die Kanzlerin ihr Leitmotiv für die Herrschaft des Unrechts verkündete
Michael Paulwitz


Es war der wohl explosivste Satz der deutschen Nachkriegsgeschichte. In Angela Merkels Mantra „Wir schaffen das“, zuerst geäußert am 31. August 2015 und in der Folgezeit unzählige Male wiederholt, verdichtet sich ein Prozeß des gewollten migrationspolitischen Kontrollverlusts und der rechtsstaatlichen Erosion, der dieses Land so gründlich verändert hat wie kaum ein Ereignis davor.
„Wir schaffen das“ ist zum Leitmotiv der bis heute nicht korrigierten Herrschaft des Unrechts in der deutschen Migrationspolitik geworden. Es ist eine infantile Parole: Kaum zufällig ist sie von der Kinderfigur „Bob, der Baumeister“ entlehnt. Und es ist, in aller apodiktischen Vereinfachung und Unduldsamkeit, eine „populistische“ Parole – aber „Populisten“ sind ja immer die anderen.


Keines der drei Wörter hält, was es verspricht. Von „Wir“ und „gemeinsam“ ist im Merkel-Sprech zuverlässig dann die Rede, wenn es um Zumutungen der Regierenden an die Bürger geht – oder, in ihren Worten, an die „Schonlängerhierlebenden“. Wenn sie sich auch noch rechtfertigen müsse, „dann ist das nicht mehr mein Land“, beschied Merkel in ihrer zweiten „Wir schaffen das“-Pressekonferenz. Wer gegen ihre Politik ist, wird also rhetorisch ausgebürgert: Das ist die Sprache der Spaltung und des geistigen Bürgerkriegs.


Was aber soll da genau „geschafft“ werden? Fünf Jahre nach Ausgabe der Parole liegt das Scheitern offen zutage. Obwohl Millionen Migranten in Deutschland aufgenommen wurden – die Zahl der aktuell hier lebenden Asyl-Zuwanderer hat sich gegenüber dem Stand vor einem Jahrzehnt auf knapp zwei Millionen mehr als vervierfacht –, sind nicht einmal Minimalanforderungen an halbwegs gelungene Integration erfüllt.

Von erfolgreicher Eingliederung in den Arbeitsmarkt kann keine Rede sein, daran ändern auch aus selektiven Betrachtungen abgeleitete Statistiken nichts. Drei Viertel der hier lebenden „Syrer“ sind im Hartz-IV-System gelandet; bei den übrigen Asyl-Hauptherkunftsländern sieht es nicht viel besser aus. Die Zahl der ausländischen Hartz-IV-Bezieher ist in den letzten zehn Jahren um fast eine Million gestiegen, die Zahl der deutschen Bezieher zugleich um mehr als eine Million gesunken.


Durch Kinderreichtum und Familiennachzug steigt die Zahl der Leistungsempfänger kontinuierlich, zugleich geht der Zuzug neuer Asylbewerber auf hohem Niveau weiter. Die Überlastung der Sozialsysteme sowie die verschärfte Konkurrenz um Wohnraum und Arbeitsplätze für Geringqualifizierte bedeuten schon in der Abendsonne der Babyboomer-Konjunktur bei noch reichlich fließenden Hochsteuereinnahmen eine hohe Last; in Zeiten der Rezession und der sich zuspitzenden Überalterung sind sie eine unerträgliche Hypothek.

Die Kosten dafür muß die schrumpfende einheimische Bevölkerung aufbringen. Die direkten Asyl-Ausgaben von Bund und Ländern kumulieren sich auf einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag; die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten überschreiten auch nach konservativen Schätzungen die Billionengrenze. Einmal angekommen, muß kaum jemand wieder gehen, auch Schwerkriminelle nicht. Mehr als eine Viertelmillion ausreisepflichtige Asylbewerber leben derzeit in Deutschland und müssen ebenfalls von der Allgemeinheit unterhalten werden.
Noch schwerer wiegen die immateriellen Kosten: die partielle Außerkraftsetzung der Rechtsordnung, von der das Abschiebe-Totalversagen nur die Spitze des Eisbergs ist; die faktische Legalisierung der Schleuserindustrie, an der sich die halbstaatlichen und kirchlichen Profiteure unter dem Deckmantel der „Seenot-rettung“ ganz offen beteiligen; und vor allem die Erosion der Sicherheit im öffentlichen Raum durch die hohe Kriminalitätsbelastung von Asyl-Zuwanderern, die unsere Rechts- und Werteordnung offen ablehnen und verachten und deren hunderttausendfach verübte Straftaten eine politisierte Justiz oft viel zu milde oder gar nicht ahndet.


Islamistische Terroristen, die mit der Merkelschen Migrationswelle unerkannt ins Land gelangt sind, morden und verüben Anschläge – 2016 am Breitscheidplatz, 2020 auf der Berliner Stadtautobahn. Die „Partyszene“-Mobs, die ganze Innenstädte terrorisieren, und wachsende rechtsfreie Räume, vor denen eine durch „Antirassismus“-Kampagnen demoralisierte Polizei immer häufiger kapituliert, sind eine weitere Spätfolge unkontrollierter Migration.

Maria Ladenburger, Mia aus Kandel und viele andere könnten ohne „Wir schaffen das“ noch leben; die Namenlosen, die täglich Opfer von Gewalt und Mord werden, hat niemand gezählt. Abgestumpft schlucken die verunsicherten Deutschen als neue Normalität, was noch vor kurzem als undenkbarer Ausnahmezustand gegolten hätte.


„Geschafft“ hat man allerdings, das multikulturelle Menschen-Großexperiment der Transformation eines demokratischen Nationalstaats in eine totale Einwanderungsgesellschaft mit Denkverboten gegen jeden rationalen Diskurs abzusichern. Merkels „Wir schaffen das“ hat dem jahrzehntelangen linken Kampf gegen eine restriktive Asyl- und Zuwanderungspolitik zum Sieg verholfen und die linke Diskurshegemonie ausgebaut und zementiert. Migrationspolitische Extrempositionen der radikalen Linken sind zum Mainstream geworden.


Dieser institutionalisierte geistige Bürgerkrieg hat Deutschland tief gespalten und seelisch schwer verwundet. Zwar gibt es eine Opposition in den Parlamenten, die Mißstände benennt. Viele Fakten liegen offen auf dem Tisch. Doch das Ziehen von Konsequenzen ist tabubewehrt und stößt auf schier unüberwindliche Hürden. Eine Wende ist kaum in Sicht. Deutschland ist im Dauerkrisenmodus; neue Krisen überlagern die ungelösten alten. Selbst nach einem Abgang Merkels werden die Deutschen daran noch Jahrzehnte zu tragen haben – wenn denn ihr Nationalstaat diese Belastungsprobe überhaupt übersteht.