© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Grosse JF Corona-Umfrage
Jörg Kürschner


Vor genau sieben Monaten, am 27. Januar, wurde in Deutschland der erste Corona-Fall offiziell bestätigt. „Die Gefahr für die deutsche Bevölkerung ist sehr gering“, kommentierte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), damals die aktuelle Lage. Er schätze das Risiko einer weltweiten Ausbreitung des Virus über Einzelfälle hinaus als „zur Zeit gering“ ein – so Deutschlands oberster Virologe. Er mußte sich inzwischen mehrfach korrigieren.

Auch das Hin und Her bei der Empfehlung für Masken war kein Ruhmesblatt für Medizin und Politik. Da diese zu Beginn der Corona-Pandemie fehlten, wurde dem Schutzmaterial jede positive Wirkung auf die Eindämmung der Seuche abgesprochen. Längst muß heute ein saftiges Bußgeld zahlen, wer die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln ignoriert. Und aktuell gibt es Lieferschwierigkeiten bei Reagenzien. Die „größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“, von der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Mitte März sprach, hat die Menschen verunsichert.

Forderungen, mit der Pandemie leben zu lernen

Gewichtiger als die Maskenpflicht ist die durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes zeitweise Einschränkung der Grundrechte, etwa des Demonstrationsrechts. Und durch den jähen Absturz der Wirtschaft sind viele Menschen arbeitslos geworden, Unternehmer bangen um ihre Existenz. Eltern sorgen sich um die Ausbildung ihrer Kinder, denen ein Schulbesuch lange verwehrt worden ist.

„Deutschland kommt gut durch die Corona-Krise“, wird gleichwohl gern versichert. Doch ist dies nur die halbe Wahrheit. Denn Wissenschaftler warnen vor den mittel- bis langfristigen Veränderungen der Gesellschaft. Eröffnet worden war die Debatte über das richtige Maß in der Krise von CDU-Senior Wolfgang Schäuble. Der bald 78 Jahre alte Bundestagspräsident widersprach der Ansicht, vor dem Schutz des Lebens habe alles andere zurückzutreten. „Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, daß wir sterben müssen.“ Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen hätte „fürchterliche Folgen“.

Der Politiker Schäuble und zahlreiche Wissenschaftler wie der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel (Hamburg) stimmten die verunsicherte Bevölkerung darauf ein, daß sie ein Leben mit der Pandemie lernen müsse. Zumindest bis zur Entwicklung eines Impfstoffs. Ein zweiter Lockdown bei einem erneuten Anstieg der Infektionen sei im Rahmen einer Risikoabwägung nicht verantwortbar. Denn ein erneuter ökonomischer Shutdown führe zu einem sozialen Risiko, dem wirtschaftlichen Abstieg von Millionen von Menschen. Es werde „harte Verteilungskämpfe“ geben, prognostiziert Reinhard Merkel.

Schon jetzt ist klar, daß das Virus arme und benachteiligte Menschen besonders hart trifft. Ältere und kranke Menschen sind wegen strenger Kontakteinschränkungen häufig sozial isoliert.

Die Bevölkerung scheint sich damit abgefunden zu haben, daß der Schutz des Lebens nicht an alleroberster Stelle stehen kann. Hohe Opferzahlen, Auswahl der zu Behandelnden („Triagen“) auf Intensivstationen statt Lockdown. Eine Horrorvorstellung. „Der eigentliche, tiefere Grund für die Lockdown-Maßnahmen war die Furcht vor solchen Triage-Entscheidungen. Das hält keine Gesellschaft und keine Rechtsordnung auf Dauer aus“, meint das frühere Mitglied des Ethikrates.
Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Auswirkungen der Pandemie bei uns noch recht glimpflich verlaufen. So erklärt sich wohl die hohe Zustimmungsrate der Bevölkerung zu den Maßnahmen der Regierung mit bis zu 90 Prozent. Doch bleibt diese eine Momentaufnahme. Der lautstarke Protest der Gegner der Corona-Einschränkungen sowie der Corona-Leugner ist ernst zu nehmen, ihre Verunglimpfung als „Covidioten“ ein Ausdruck der Hilflosigkeit.
Wir möchten Sie, unsere Leserinnen und Leser, fragen, wie Sie bisher durch die Pandemie gekommen sind, wie Sie die – zum Teil massiven – Einschränkungen Ihrer persönlichen Freiheit bewerten. Mischen sich in Ihre Ängste vielleicht Hoffnungen? Dazu haben wir einen Fragebogen vorbereitet.

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