© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Europa im türkischen Schach
Geopolitik: Erdogan schlägt Macron in Westafrika / Putsch in Mali zeigt deutliche Spuren nach Ankara
Jörg Sobolewski


Als am 18. August auf einer Luftwaffenbasis nahe der malischen  Hauptstadt Bamako die ersten Schüsse fielen, die schließlich zur Absetzung des gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta und zur Etablierung einer Militärjunta unter dem Oberst der Spezialkräfte Assimi Goita führen sollten, war eine staatliche Medienagentur ungewöhnlich laut und früh am Ball: der türkische Staatssender TRT World.
Er begleitet aus Istanbul seitdem die aktuellen Vorgänge im westafrikanischen Mali mit täglichen Updates in sozialen Netzwerken und scheint dabei stets gut informiert zu sein. Die Fokussierung auf das Land in der Sahelzone ist auf den ersten Blick ungewöhnlich, schließlich sind beide Länder weder historisch noch wirtschaftlich besonders eng verbunden.

Erst auf einen zweiten Blick offenbart sich das Interesse Ankaras, denn Mali ist einer der militärischen Hotspots der Europäischen Union. Soldaten aus vielen Mitgliedsstaaten sind dort im Rahmen der UN-Mission Minusma im Einsatz. Verantwortlich für die Entsendung der Truppe war die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die nach dem letzten Putsch 2012 von der Interimsregierung in Bamako um Hilfe gegen die Tuareg-Rebellen der MNLA und ihrer islamistischen Unterstützer gebeten wurde.
Binnen anderthalb Jahren vertrieben französische Soldaten die Aufständischen aus weiten Teilen des Landes. Zur Aufrechterhaltung des Friedens und zur Ausbildung der heimischen Streitkräfte sind seitdem europäische Kontingente im Einsatz. Für die Bundeswehr ist es nach eigener Aussage der gefährlichste ihrer laufenden Einsätze. Die treibende Kraft hinter einem weitergehenden Engagement der Spanier und der Deutschen ist Frankreich, das gern seine Lasten verteilen will. Dennoch gilt unverändert in Bamako das Diktum aus Paris als entscheidend, Mali ist elementarer Teil französischer Einflußsphäre.

Mit Frankreich liegt die Türkei aber an mehreren Schauplätzen über Kreuz. Im Libanon etwa, wo Paris als Schutzmacht der katholischen, Istanbul aber als Schutzherr der sunnitischen Minderheit auftritt. Oder im Muskelspiel rund um angebliche und vermutete Gasfelder in der Ägais, wohin Frankreich vor kurzem zwei Rafale-Kampfjets und eine Fregatte zur Unterstützung griechischer Ansprüche verlegt hat. Doch nirgendwo liegen die beiden Nato-Partner so über Kreuz wie in Libyen. Hier unterstützt Erdogan die sogenannte Regierung der nationalen Einheit unter Fayiz as-Sarradsch, Frankreich hingegen den Warlord Chalifa Haftar.

Imam Mahmoud Dicko wob das islamistische Netz

Bisher schien es, als säße Frankreich in seinem afrikanischen Hinterhof am längeren Hebel. Doch nun haben sich wesentliche Konstanten in der Sahelzone geändert, und das liegt unter anderem an einer der schillerndsten Figuren der türkischen Sicherheitsbranche. Adnan Tanriverdi ist ein pensionierter General der türkischen Streitkräfte, enger Vertrauter und ehemaliger außen- und sicherheitspolitischer Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan und vor allem der Gründer und Besitzer des Sicherheitsunternehmens „Sadat“, was übersetzt soviel wie „Herr“, „Meister“ oder „Nachfolger Mohammeds“ heißt.

Bereits 2014 verteidigte Tanriverdi in einem Artikel auf seinem Blog die Rolle „islamischer, oppositioneller Gruppen“ in Subsahara-Afrika. Diese seien vor „staatlich finanziertem Terror und Einschüchterung zum Wohle der AKP-Türkei zu schützen“. Im selben Jahr erfolgten unter anderem illegale Waffenlieferungen nach Nigeria, von denen höchstwahrscheinlich die islamistische „Boko Haram“-Miliz profitierte. Hauptakteur bei diesem klandestinen Geschäft war ein Großer der weltweiten Luftfahrtbranche, Turkish Airlines.

Dies zumindest ist einem geleakten Gesprächsprotokoll zu entnehmen, das ein Telefonat zwischen einem leitenden Mitarbeiter und dem damaligen Berater Erdogans und heutigen Industrieminister Mustafa Varank wiedergibt. Mittlerweile stuft das nigerianische Militär die Waffenlieferungen als „ernsthafte nationale Bedrohung“ ein. Eine Beteiligung Tanriverdis in Nigeria konnte nie nachgewiesen werden. Genauso besteht offiziell keine türkische Verbindung zur Junta in Bamako, doch einer der wichtigsten Akteure im Land, der islamistische Imam Mahmoud Dicko ist in der muslimischen Welt bestens vernetzt – auch zur AKP, der islamistischen Regierungspartei der Türkei. Der charismatische Prediger führt seit Jahren einen Kampf, nicht nur gegen die Regierung des gestürzten Keïta, sondern vor allem gegen die „Verwestlichung“ des Landes. Zu seinen Predigten kamen vor dem Putsch Tausende. Der von einigen westlichen Beobachtern als „Salafist“ bezeichnete Geistliche vertritt einen der Muslimbruderschaft verwandten Islamismus. Nach dem Putsch kündigte Dicko an, die Junta bei „ihrem Vorhaben, zur Demokratie zurückzukehren“, zu unterstützen und sich selbst aus der Politik zurückzuziehen. Eine Ankündigung, die als ausdrückliche Unterstützung des Putsches aufgefaßt wurde. Aus Junta-Kreisen ist derweil zu hören, daß sie frühestens in drei Jahren zu einer Zivilregierung zurückkehren wolle.

TRT World hatte auch hier vor allen anderen Sendern von Dickos Entscheidung erfahren und würdigte den Prediger mit einem anderthalbminütigen Video, in dem besonders dessen Vermittlerrolle zu radikalen islamistischen Gruppen während des Bürgerkrieges 2013 hervorgehoben wird. Einer der damaligen Gesprächspartner Dickos war just die Organisation, die im selben Jahr von türkischen Waffenlieferungen profitierte, die radikalislamische „Boko Haram“.
Für Frankreich eine Niederlage – Präsident Emmanuel Macron hatte vergeblich versucht, den Prediger auf seine Seite zu ziehen, der trotz der Charmeoffensive aus Paris die französischen Soldaten der „Rekolonisierung“ bezichtigt hatte. Ganz anders hingegen die Signale nach Ankara, Dicko bezeichnete den türkischen Präsidenten ganz offiziell als sein Vorbild.