© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

„Mir ist jetzt leichter ums Herz“
Vermißte des Weltkriegs: Die Bundesregierung verlängert die Finanzierung des Suchdienstes um zwei Jahre / Zahl der Anfragen von Angehörigen gestiegen
Paul Leonhard/ Christian Vollradt

Mucksmäuschenstill war es im Saal der Bundespressekonferenz am vergangenen Mittwoch. Manch einer der sonst eher routiniert zuhörenden Hauptstadtjournalisten spürte einen Kloß im Hals. Denn was zwei der Gäste an diesem Vormittag vortrugen, unterschied sich in jeder Hinsicht von dem, was vor der blauen Wand sonst gern an Politikerphrasen abgesondert wird. 

Bewegend schilderte die 81 Jahre alte Heidi Büttner, wie sie im Oktober 2019, fast 75 Jahre nach Kriegsende, endlich Gewißheit über das Schicksal ihres seit Mai 1945 vermißten Vaters erhielt. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hatte in russischen Archiven ermittelt, daß Feldwebel Waldemar Jahr als Kriegsgefangener in einem Spezialhospital südöstlich von Moskau im September 1945 an Unterernährung gestorben und auf dem dazugehörigen Friedhof bestattet worden war. Zunächst sei sie „platt“ gewesen, als sie diese Nachricht nach so langer Zeit erhalten hatte. „Mir ist jetzt leichter ums Herz“, resümierte sie, die im Alter von gerade einmal sechs Jahren ihren Vater zuletzt gesehen hatte. „Wir haben immer gebetet, daß Vater wiederkommen soll, und ich habe nachts auch oft von ihm geträumt.“ Als Kind habe man immer gehofft, daß er noch kommt. „Ich kann jetzt anders an meinen Vater denken.“

Ähnliches berichtete Manfred Kropp aus Franken, dessen Vater Wilhelm im März 1942 auf der Krim verschwunden war. Nach vielen vergeblichen Anfragen erhielt der 79jährige in diesem Jahr einen dicken Umschlag mit Unterlagen, die das Schicksal seines verschollenen Vaters aufklären. Endlich genaue Daten, auch zur Todesursache und sogar eine Grabstätte, er sei „nun sehr froh über die erlösende Gewißheit“. Im Juli 1942 war sein Vater in einem sibirischen Lager an einer Krankheit infolge von Mangelernährung verstorben. 

Noch immer ist das Schicksal Hunderttausender deutscher Zivilisten und Militärangehöriger, die während des Zweiten Weltkrieges und in den Nachkriegswirren verschwunden sind, nicht geklärt. Auch 75 Jahre nach Kriegsende gelten noch immer 1,3 Millionen als vermißt. 

Erfolgsquote von zwanzig Prozent

Trotzdem wollte die Bundesregierung die Finanzierung der Suche des Deutschen Roten Kreuzes nach diesen Verschollenen mit der Begründung einstellen, daß ein Dreivierteljahrhundert nach der Kapitulation des Großdeutschen Reiches kaum noch Chancen auf neue Erkenntnisse bei der Klärung von Schicksalen bestünden und das Interesse nachfolgender Generationen an ihren vermißten Angehörigen kaum noch vorhanden sei (JF 11/18). Doch als die DRK-Präsidentin, die ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete und Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, im Mai öffenlich verkündete, was längst beschlossen war, daß nämlich der Suchdienst seine Arbeit Ende 2023 einstellen würde, letzte Anträge bis 31. Dezember 2021 gestellt werden müßten und die Initiative dazu nicht vom DRK ausgegangen sei, ging ein Aufschrei durch die Reihen der Betroffenen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Eckhard Pols, Vorsitzender der  Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten in der Unionsfraktion, protestierte, diese Ankündigung rühre an einen „empfindlichen Punkt“, und das Bundesinnenministerium signalisierte ein Einlenken (JF 21/20).

Sichtlich erfreut präsentierte Hasselfeldt nun vergangene Woche die neue Beschlußlage – und konnte Heidi Büttner und Manfred Kropp als glaubwürdige Zeugen dafür präsentieren, daß der Suchdienst nach wie vor wichtige Arbeit leisten kann und muß. Mit rund 11 Millionen Euro pro Jahr fördert dies das Innenministerium zunächst bis Ende 2025 weiter. 25 der 98 Mitarbeiter beschäftigen sich beim Suchdienst ausschließlich mit der „Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg“. Und eine steigende Nachfrage bestätigt es: Gab es 2018 rund 9.000 Anfragen nach Weltkriegsvermißten, so stieg deren Anzahl im vergangenen Jahr auf 10.091. Für dieses Jahr rechnet Hasselfeldt mit 11.000, „nur bezogen auf den Personenkreis des Zweiten Weltkrieges“.

Es gebe „mittlerweile eine Generation von Enkeln, die sich stark für den Verbleib ihres Großvaters oder ihrer Großmutter interessieren“, weiß die DRK-Präsidentin zu berichten. Auch viele aus der letzten Kriegsgeneration nutzen die ihnen noch verbleibende Zeit, um endlich beim Suchdienst eine Anfrage nach verschollenen  Verwandten zu stellen. „Da gibt es psychologisch eine innere Baustelle, die viele Menschen noch geklärt haben wollen“, so DRK-Pressesprecher Dieter Schütz. Etwa 20 Prozent der Anfragen haben Erfolg. So wie die von Heidi Büttner und Manfred Kropp.