© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Ländersache: Schleswig-Holstein
Lad os gå til Berlin
Christian Vollradt

Tut er’s oder tut er’s nicht? Die Frage wird in zwei Wochen auf einem Parteitag geklärt, wenn sich der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) entscheidet, ob er zur Bundestagswahl im kommenden Jahr antreten wird oder nicht. Es wäre keine Premiere, denn die Partei der dänischen und friesischen Minderheit im nördlichsten deutschen Bundesland war bereits im ersten Bundestag von 1949 bis 1953 mit einem Mandat vertreten. Nach zwei vergeblichen Versuchen des Wiedereinzugs, der bisher letzte im Jahr 1961, nahm der SSW an keiner Bundestagswahl mehr teil. Diese lange Pause könnte nun enden.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte der Vorstand der 3.306-Mitglieder-Partei beschlossen, in diesem Spätsommer über eine mögliche Weichenstellung Richtung Berlin zu entscheiden. Begründung: Die früher großen Volksparteien CDU und SPD seien immer weniger Ansprechpartner für die Minderheitenvertreter, da die Parteienlandschaft zunehmend zersplittere, sagte ein SSW-Sprecher damals. Vor allem sehe man die Interessen Schleswig-Holsteins im Bund nicht gut vertreten. Zur dänischen Minderheit zählen etwa 50.000 Personen. Dabei spielen historische Wurzeln keine Rolle. Jeder, der möchte, gehört dazu.

Um den Sonderstatus der Dänen- und Friesenpartei gab es immer wieder Streit, der auch das Landesverfassungsgericht schon beschäftigte. Vor etwa sieben Jahren scheiterte dort die Junge Union mit einer Klage gegen die Befreiung des SSW von der Fünfprozenthürde. Der CDU-Nachwuchs argumentierte, der Wählerverband sei inzwischen keine Partei einer ethnischen Minderheit mehr, sondern äußere sich zu sämtlichen Themen. Die Richter sahen darin jedoch keinen Widerspruch. 

Kritiker monierten schon länger, daß es nach der Einführung einer Zweitstimme im schleswig-holsteinischen Wahlrecht dem SSW möglich ist, auch im holsteinischen Landesteil mit einer Landesliste zu kandidieren; also dort, wo gar keine Angehörigen der dänischen oder friesischen Minderheit leben. Doch solange der SSW personell von der Minderheit getragen und programmatisch von ihr geprägt werde, dürfe er im ganzen Land vom Sonderstatus profitieren, hieß es im Urteil.

Das bürgerliche Spektrum ärgert besonders, daß sich der SSW klar links positioniert und von der anfangs vertretenen Linie, eine Regierung weder zu stützen noch zu stürzen, längst abgerückt ist. Von 2012 bis 2017 war die Partei sogar mit SPD und Grünen Teil der sogenannten Küstenkoalition, die mit einer Stimme Mehrheit regiert hatte. Derzeit sitzen drei SSW-Abgeordnete im Kieler Landtag.

Um im Herbst 2021 ein Mandat in Berlin zu erlangen, bräuchte die Partei ungefähr 40.000 Stimmen. Das sei machbar, meint Parteichef Flemming Meyer, der wie die Jugendorganisation zu den eifrigsten Befürwortern des Wagnisses gehört. Schließlich bekam der SSW bei den Urnengängen im Land meistens genau diese Stimmenzahl. Gegenüber der Presse gab sich Landtagsmitglied Meyer stets zuversichtlich, daß sich der Parteitag auch so entscheiden wird. Finanziell dürfte das Risiko dank der zu erwartenden Wahlkampfkostenerstattung überschaubar sein. Selbst möchte der 68jährige jedoch nicht ran. Das müsse jemand Jüngeres machen. Mit klarer Haltung für eine „tolerante Gesellschaft“ und „offene Grenzen“.