© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

„Erneut enttäuschend“
Entwicklungshilfe: Deutsche Firmen sollen künftig für soziale und umweltrechtliche Verstöße ihrer globalen Zulieferer haften
Paul Leonhard

Ohne die Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen wären die miserablen Arbeitsbedingungen und die Ausbeutung osteuropäischer Werksvertragsarbeiter kein Thema der Bundesregierung geworden. Denn Schwarz-Rot hat eher das globale Elend im Blick: „Fairer Handel in globalen Lieferketten ist der wichtigste Schlüssel für Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz der Umwelt in den Entwicklungsländern“, findet Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU). Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit dürften nicht „zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstandes“ werden, so der CSU-Politiker. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sekundiert: „Wir brauchen ein nationales Gesetz, um auch für fairen Wettbewerb zu sorgen.“

Daher soll das Lieferkettengesetz künftig Firmen in Haftung nehmen: für Kinderarbeit, Ausbeutung, Diskriminierung, fehlende Arbeitsrechte, aber auch Umweltzerstörung wie illegale Abholzung, Pestizid-Ausstoß, Wasser- oder Luftverschmutzung auch bei ihren Zulieferern. 7.300 deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiten sollen nachweisen, wie sie Menschenrechte und soziale Mindeststandards in ihren Wertschöpfungsketten sicherstellen. Denn die Ergebnisse des 2016 verabschiedeten „Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte“ seien „erneut enttäuschend“, so Müller. Nur 455 von 2.250 befragten Firmen hätten mit „gültigen Antworten“ reagiert. Das diesjährige Ergebnis zeige, daß „deutlich weniger als 50 Prozent ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen“ (JF 32/20).

Peter Altmaier ist dennoch weiter gegen einen nationalen Alleingang. Rückendeckung bekam der CDU-Wirtschaftsminister von Arbeitgeberverbänden und dem SPD-Wirtschaftsforum, das „eine Zersplitterung des EU-Binnenmarkts durch unterschiedliche nationale Regelungen“ verhindern will – schließlich plant die EU-Kommission eine eigene Initiative für 2021. Beifall bekommen Müller und Heil dagegen von Entwicklungs- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften. Da Firmen sich nicht freiwillig zu klaren Haftungsregeln bekennen, müßten sie per Gesetz gezwungen werden, fordete die grün-christliche „Initiative Lieferkettengesetz“, die im Juli eine Petition mit mehr als 220.000 Unterschriften an Kanzlerin Angela Merkel übergeben hat.

Aber auch jene mehr als 60 Unternehmen, die sich freiwillig zu sozialen Mindeststandards in ihren Wertschöpfungsketten verpflichtet haben, darunter Tchibo, Rewe, Nestlé, Kik oder Ritter Sport, fordern nun eine allgemeingültige Verpflichtung aller, da ihnen sonst Wettbewerbsnachteile drohen würden.

Wenig Verständnis für den Aktionismus zeigt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA im Deutschlandfunk. Die deutschen Unternehmen, die er im Ausland besucht habe, würden sich vorbildlich und den Menschenrechten verpflichtet verhalten. Es sei nicht zu akzeptieren, wenn sie für Mißstände haften müssen, die Dritte verursacht haben, so der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete. Zuvor hatten bereits mehrere Wirtschaftsverbände in einem Brief an Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus geklagt, daß die Anzahl von Zulieferern „bei großen Konzernen bereits in der ersten Stufe über 100.000 Unternehmen betragen“ kann.

Sollten ursprünglich Unternehmen bei Verstößen sogar strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, so sollen sie nach dem veränderten Gesetzentwurf nur zivilrechtlich haften. Das nationale Gesetz, das auch für einen fairen Wettbewerb sorgen soll, werde „nur verlangen, was machbar und verhältnismäßig ist“, versucht Heil die nervös gewordenen Manager zu beruhigen: „Wenn Unternehmen ihr Menschenmöglichstes tun, um Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten, dann haften sie nicht.“ Dumm nur, wenn Firmen samt den Arbeitsplätzen in schwächer regulierende Nachbarländer abwandern, greift das deutsche Recht gar nicht.

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