© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Sozialistischer Kulturkampf um das Nacktbaden
Staatlich gewährte Textilfreiheit
(dgz)

Bürger der frühen DDR mußten sich nicht mit der Forderung nach „Maskenfreiheit“ bescheiden. Das Glück der Selbstverwirklichung strebte der werdende „sozialistische Mensch“ vielmehr gänzlich hüllenlos an – zumindest im Sommer. Um die „Freiheit zum Nacktbaden“ entbrannte daher gleich nach Gründung des SED-Staates ein Kulturkampf, dessen Fronten nicht nur zwischen dem werktätigen Volk und dem Regime, sondern zwischen FKK-Freunden und Gegnern unter den Spitzengenossen verliefen. Darum sei die DDR, anders als es die westdeutsche Legende wissen will, keineswegs einfach nur ein „Paradies des Nacktbadens“ gewesen, das die Bürger als einen der raren politikfreien Räume ihrer totalitären Staatspartei abgetrotzt hätten. Vielmehr, so rekonstruiert die Berliner Kulturhistorikerin Ulrike Köpp dieses Segment des DDR-Alltags, sei es „genau umgekehrt“ gewesen: Nach anfänglichen Verboten und Restriktionen, die bis 1953 vor allem an der Ostseeküste und an den brandenburgischen Badeseen herrschten, sei die im Nacktbaden entdeckte „Technik des Glücks“ dem Volk von einer großzügigen Partei geschenkt worden (Sinn und Form, 4/2020). Denn im Juni 1953, ohne ersichtlichen Zusammenhang mit dem Volksaufstand vom 17. Juni, setzte sich in der vom prüden Willi Stoph dirigierten Innenverwaltung der Verordnungsentwurf über eine „unorganisierte Freikörperkultur“ durch. Dessen Urheber waren Funktionäre, die dem lebensreformerisch-linkslibertären FKK-Milieu der Weimarer Republik entstammten und nicht den KPD-Organisationen, die Stoph prägten und die in freier Natur bekleideten Körper paramilitärisch ertüchtigten. 


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