© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Globalisierungsgerede und neoliberale Politik des Sozialabbaus
Sich selbst erfüllende Prophezeiung
(wm)

In den 1990ern avancierte die Berufung auf eine alternativlose Globalisierung nahezu gleichzeitig in den USA des demokratischen Präsidenten Bill Clinton, im Großbritannien des Labour-Premiers Tony Blair und in der Bundesrepublik unter dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder zum schlagenden Argument für die Durchsetzung von Reformpolitik. Ein als gleichsam natürliches Walten ominöser „Kräfte“ (Blair) oder als „unerbittliche Logik“ (Clinton) anonymer Märkte dargestelltes Geschehen diente in allen drei Ländern zur Rechtfertigung neoliberaler Politik des Sozialabbaus, der Lohnsenkung und Deregulierung. Tatsächlich, so deutet der Tübinger Historiker Jan Eckel die „Globalisierungsrede“, habe diese Kurzformel mehr ökonomische Zusammenhänge verdeckt als offengelegt (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3-2020). Es wäre sogar nur leicht übertrieben, zu behaupten, das Mantra unausweichlicher Anpassung nationaler „Standorte“ an die Spielregeln globalisierter Märkte sei so aussagekräftig wie die Deduktion sozioökonomischer Abläufe aus Planetenkonstellationen. Die zudem Züge einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung trage. Denn die Regierungen, insbesondere Clintons aggressive Außenhandelspolitik, hätten die Bedingungen der Globalisierung, die angeblich zu schmerzhaften Reformen nötigten, teilweise erst geschaffen oder doch erheblich verstärkt. 


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