© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Ein Wachhund, der bellen konnte
Die Journalistin Gudrun Schmidt hat die Lebenserinnerungen Joachim Kardinal Meisners herausgebracht
Gernot Facius

Die einen liebten ihn wegen seiner pointierten Sprache, andere sahen in Kardinal Joachim Meisner einen beratungsresistenten „Fundamentalisten“, der gesellschaftliche Veränderungen schlicht ignorierte: einen „Haßprediger“. Als er im Februar 1989 aus Berlin kommend sein Amt als Kölner Erzbischof antrat, empfingen ihn Demonstranten mit Spruchbändern: „Sehet, da kommt der Hirte, den kein Schaf hier wollte.“ 

In seiner Rom-Treue konnte ihn nichts erschüttern

Meisner wußte, daß er polarisierte.  Und ihm war auch bekannt, daß er nicht der Wunschkandidat des Domkapitels war, daß sich viele im Klerus und im Kirchenvolk einen anderen auf dem Stuhl des heiligen Maternus erhofft hatten. Aber er wollte nie um des lieben Friedens willen den geschmeidigen Kirchenmann geben, der sich am Zeitgeist orientiert. Das tat er stets auch kund: „Der Wachhund, der nicht bellen kann, verdient das Futter nicht.“ Das war O-Ton Meisner. „Erster Diener Seiner Heiligkeit“ nannte sein kirchenkritischer schlesischer Landsmann Hubertus Mynarek den am 5. Juli 2017 im Alter von 83 Jahren in seinem Urlaubsort Bad Füssing verstorbenen Kölner Erzbischof. Das war eine polemische Spitze gegen Meisner, ganz falsch ist sie indes nicht. In seiner Rom-Treue konnte ihn nichts erschüttern. Aus Loyalität stehe er neben jedem Papst, koste es, was es wolle, lautete einer seiner Standardsätze. „Hauptsache, das Herz ist katholisch.“ 

Die ehemalige WDR-Journalistin Gudrun Schmidt, eine Schlesierin aus der Grafschaft Glatz, hat die Lebenserinnerungen des Kardinals, erzählt von ihm selbst, zusammengefaßt und im Verlag Herder herausgebracht. Es geht um alles, was ihm am Herzen lag: Gott, Familie, Papst, Förderer und – Heimat. Entstanden ist, postum und etwas verklausuliert, auch eine Abrechnung mit seinen Kritikern im deutschen Episkopat. Es war noch einmal der alte Meisner, der wie gewohnt kein Blatt vor den Mund nahm, der sich über Brüder im Bischofsamt mokierte, ihnen gar Feigheit attestierte: „Leider sind so manche von ihnen Anpasser. Wenn Johannes der Täufer so ängstlich gewesen wäre, hätte er nie den Kopf verloren. Aber heute raubt immer öfter eine falsche Ängstlichkeit der Kirche das Mark.“ 

Ist das etwa einer der Gründe, warum sich kirchliche Journalisten schwertun mit dem Buch, das den programmatischen Titel trägt „Wer sich anpaßt, kann gleich einpacken.“ Eine Ableitung von Meisners Bekenntnis: „Für mich war und ist es stets wichtig, im Grundsätzlichen klar zu sein.“ Das betraf auch seine Position im Disput über die Positionierung der Deutschen Bischofskonferenz in der Problematik des Paragraphen 218. Persönlich Papst Johannes Paul II. eng verbunden, sagte er klar und unmißverständlich, daß die Kirche in der Frage des Lebensschutzes sich nicht an die Moderne anpassen und somit den Beratungsschein für eine straffreie Abtreibung nicht ausstellen dürfe. Immerhin: Selbst der Kölner Stadt-Anzeiger, nicht immer mit dem Kardinal auf freundschaftlichem Fuße, kam um ein Lob nicht herum: „Ein Buch, das von Herzen kommt.“ 

Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 2014 saß der Theologe aus Breslau, groß geworden in der thüringischen Diaspora, auf dem Maternus-Stuhl, davor war er von 1980 an Bischof im geteilten Berlin: „Kardinal an der Mauer“, immer wachsam gegenüber Ansprüchen des SED-Staates. Er hat die Kirche nie anders erlebt, als daß ihr der Wind ins Gesicht geblasen hat. Im „realexistierenden Sozialismus“ erlebte er schwierige Zeiten. 

Aber im Gegensatz zu heute empfand er die Situation klarer, manchmal sogar leichter: „Wir wußten, wie die Positionen sind. Wir wurden belogen, man wollte uns einstecken, aber das ist ihnen nicht gelungen, weil unsere Haltung klar war: Wir haben keine Abstriche gemacht und nicht mit uns handeln lassen. Vor allem aber haben wir uns nicht angepaßt, denn das wäre unser Untergang gewesen.“ Gleichwohl haben sich einige Prälaten aus seiner Umgebung angepaßt, der Kardinal wirft ihnen einen „ziemlich regierungsfreundlichen und für uns immer befremdlicheren Arbeitsstil“ vor. Einer von ihnen, Gerhard Lange, hatte sich bei SED-Vertretern „auf widerliche Weise über uns Bischöfe ausgelassen“. 

Prägnante Einschätzungen liefert Meisner zu deutschen Spitzenpolitikern, die ihn während seiner Berliner Zeit besuchten. Zweimal im Jahr kam Helmut Schmidt: „Ihn interessierte die Sicht von jemandem, der die politische Bühne von beiden Seiten kennt.“ Helmut Kohl redete zwei Stunden lang, erzählte von seinen Erfolgen, aß mit Appetit die halbe Torte, dazu die Pralinen aus dem Schälchen, und wenn nicht seine Begleitung zum Aufbruch gemahnt hätte, wäre er noch länger geblieben: „Er ist christlich-katholisch, glaubt auch an Gott, präsentiert sich sehr von sich überzeugt – und erwies sich als dialogunfähig“. 

Merkel und den Kardinal „trennten Lichtjahre“

Zu Angela Merkel, die „als geschiedene Frau mit einem geschiedenen Mann ohne Trauschein zusammenlebte“, fehlte der persönliche Konnex ganz. Merkel und den Kardinal „trennten Lichtjahre“. Erhellend sind die kritischen Bemerkungen über den ehemaligen Berliner Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker. Der Protestant empörte sich über den „Alleinvertretungsanspruch der katholischen Kirche“ und signalisierte Meisner, wenn er beim Berliner Katholikentag nicht zur Kommunion gehen dürfe, werde er nicht kommen: „Da war er bei mir natürlich an der richtigen Adresse. Er solle sich dies noch einmal überlegen. (...) Wir könnten keinen Bürgermeister als den unseren bezeichnen, der das Wesen der Kirche mit Füßen trete. Das muß ihn wohl getroffen haben, denn er hat nie wieder etwas darüber geäußert.“ 

Joachim Kardinal Meisner: Wer sich anpaßt, kann gleich einpacken. Lebenserinnerungen. Herder Verlag, Freibung im Br. 2020, gebunden, 265 Seiten, 24 Euro