© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Wenig Aussicht auf Versöhnung
Parteitag: Niedersachsens AfD wählt am Wochenende einen neuen Landesvorstand / Vier Konkurrenten treten gegen Amtsinhaberin Dana Guth an
Christian Vollradt

Klein, aber oho, könnte man fast sagen: Mit ihren rund 2.800 Mitgliedern ist die niedersächsische AfD die kleinste aller im Landtag vertretenen Parteien. Aber mit gleich fünf Bewerbern um den Landesvorsitz dürfte sie unter allen Konkurrenten als Spitzenreiter hervorstechen. Neben Amtsinhaberin Dana Guth, die auch an der Spitze der neunköpfigen Landtagsfraktion steht, kandidieren auf dem Parteitag am kommenden Wochenende in Braunschweig noch vier Herausforderer. 

Als Guths Hauptkonkurrent gilt unbestritten der ehemalige Generalsekretär der Landespartei, Jens Kestner. Der Bundestagsabgeordnete aus Northeim gilt als enger Vertrauter des früheren Landesvorsitzenden Armin-Paulus Hampel. Er war vor zweieinhalb Jahren nach heftigen internen Machtkämpfen und einer vom Bundesvorstand erzwungenen Absetzung von seiner parteiinternen Widersacherin Guth abgelöst worden (JF 16/18). Kestner, in dessen Mannschaft auch der Landtagsabgeordnete Stephan Bothe für ein Vorstandsamt antritt, gilt im Land zudem als Gefolgsmann Björn Höckes. Der Thüringer Landesvorsitzende und andere Anhänger des mittlerweile aufgelösten „Flügels“ waren häufig Gäste bei Veranstaltungen Kestners. Nun aber betont der 48jährige im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT, die Zugehörigkeit zu einem innerparteilichen Lager spiele für ihn keine Rolle. Er wolle den Verband wieder „politischer, kampagnenfähiger machen“. Dem amtierenden Landesvorstand wirft er vor, die Partei bloß „verwaltet zu haben“, weswegen sie stagniere. 

Wenig überraschend, daß Dana Guth dem widerspricht. Nach den Turbulenzen der Hampel-Ära sei die Partei nicht mehr ständig mit Skandalen in der Presse. Bis in die meisten Kreisverbände hinein habe der Landesvorstand die Partei konsolidieren können. „Zu einer Versöhnung gehören jedoch immer zwei“, betont Guth gegenüber der JF. Wer die Arbeit des Vorstands boykottiere, könne ihm nicht im Gegenzug Untätigkeit vorhalten.

Wenig Chancen räumen Beobachter den beide Kandidaten Dietmar Friedhoff und Stephan Wirtz ein. Der Bundestagsabgeordnete Friedhoff hatte sich bereits vor gut zwei Jahren – erfolglos – als Kandidat jenseits der zerstrittenen Lager präsentiert. Wirtz, Landtagsabgeordneter aus Braunschweig und dort auch Ratsherr, ist Mitglied des Landesvorstands – und hatte dort stets gut mit der Amtsinhaberin zusammengearbeitet. 

Als letzter hatte seinen Hut der rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Christopher Emden, in den Ring geworfen. Der 43jährige – im Zivilberuf Richter – sei „nach reiflicher Überlegung“ zu dem Schluß gekommen, nur „ein neutraler Kandidat“ könne die miteinander verfeindeten Lager einen. Emden könnte für Guth also möglicherweise der gefährlichere Gegner sein, denn von seiner Vita und vom Auftreten her ist er insbesondere für die Vertreter des bürgerlich-konservativen Lagers vorzeig- und wählbar. Um so erstaunlicher ist das innerparteiliche Gerücht, Emden werde nun vom ehemaligen „Flügel“-Vormann Höcke als Wunschkandidat für seine Anhängerschaft betrachtet – anstelle Kestners.   

Linke Gruppen haben Gegenproteste angekündigt 

Guth, die unter anderem den Bundestagsabgeordneten Jörn König sowie den ehemaligen Luftwaffen-General Joachim Wundrak zu ihren Unterstützern zählt, hat ohne Zweifel den Amtsbonus inne. Sie könnte auch, meinen manche, von der „Kannibalisierung“ ihrer Gegner untereinander profitieren. Allerdings scheint die Siegesgewißheit bei manchen ihr politisch nahestehenden nicht mehr ganz so ausgeprägt zu sein. Geschadet, wendet mehr als einer einer hinter vorgehaltener Hand ein, habe ihr unter anderem die von vielen für völlig unnötig gehaltene, absehbar erfolglose Kandidatur gegen Tino Chrupalla um das Amt des Co-Vorsitzenden beim Bundesparteitag vergangenes Jahr in Braunschweig.

Wie immer bei Mitgliederparteitagen wird es also vor allem auf die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft ankommen. Und auf die Fähigkeit der Kandidaten, möglichst viele zuvor unentschlossene oder neutrale Mitglieder für sich zu gewinnen. Entscheidend aber ist zunächst, wie viele niedersächsische AfD-Leute sich überhaupt motivieren können, zu einem Parteitag unter den erschwerten Corona-Abstands- und Hygieneregeln anzureisen. Erst nach zahlreichen Absagen hatte die Partei schließlich einen Tagungsort gefunden. Und wie üblich bleiben auch die Protestaufrufe gegen den Parteitag nicht aus. Daß es innerhalb wie außerhalb der Veranstaltungshalle hitzig zugehen wird, davon kann man ziemlich sicher ausgehen.