© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Stell deine Familie auf!
Ahnenforschung selbst gemacht: Mit Online-Datenbanken, Plattformen, Internetgruppen und bewährten Handbüchern kommt man den eigenen Vorfahren auf die Spur
Bernd Rademacher

Kein Mensch ist ein isoliert im Orbit treibendes Wesen, wir alle sind Teil einer Ahnenkette, und oft haben wir von unseren Vorfahren mehr Eigenschaften übernommen, als wir glauben. Wer sich auf die Spur seiner Ahnen begibt, findet dabei auch zu sich selbst. Das Ausgraben der eigenen Wurzeln ist echte Detektivarbeit und spannend wie ein Krimi …

Je tiefer man schürft, desto mehr Fragen treten zutage. Die Eltern- und Großelterngeneration bringt man noch spielend zusammen, doch schon bei deren Eltern und weiteren Ureltern gestaltet sich die Fahndung oft schwierig. Dabei wird es jetzt erst richtig interessant.

Seit 1876 wurden im Deutschen Reich alle Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle von den Standesämtern registriert. Vorher führten die Kirchengemeinden darüber Buch, teils schon ab dem 15. Jahrhundert.

Die bundesdeutschen Standesämter erteilen meist bereitwillig Auskunft, erheben dafür jedoch geringe Gebühren. Je vollständiger die Angaben über die gesuchten Personen (Name, Geburtsdatum, Familienstand etc.), desto präziser die Treffer nach deren weiteren Angehörigen. Die Bereitschaft der Kirchengemeinden zur Mithilfe ist unterschiedlich, ebenso wie die Kosten. Manchmal ist nur die persönliche Einsichtnahme vor Ort in die Kirchenbücher möglich.

Im Internet finden Familienforscher eine kaum überschaubare Fülle von Datenbanken für Hobby-Genealogen. Das Vergleichen lohnt sich auf jeden Fall.


Welche Internet-Ressourcen gibt es?

Die Auswahl an genealogischen Suchdiensten im Internet ist riesig und reicht von kostenlosen deutschsprachigen Angeboten bis zu weltweiten Profi-Tools, für die Gebühren anfallen. Manche Seiten versprechen allerdings mehr, als sie halten. Hier drei Empfehlungen für Anfänger:


www.familysearch.org

Diese Seite wird von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, den Mormonen also, betrieben. Das sollte Interessierte aber nicht abschrecken, denn für Einsteiger bietet dieses kostenlose Angebot sehr gute Dienste. Der Schwerpunkt liegt zwar auf den USA, doch auch für Europa liegen Urkunden wie Kaufverträge, Eheschließungen oder Volkszählungen vor.


www.anchestry.de

Die Plattform hält nicht nur ein riesiges Datenarchiv aus Militärakten, Wählerverzeichnissen etc. bereit, sondern auch einen optionalen DNS-Testservice. Die Suchergebnisse lassen sich direkt in einem Online-Stammbaum speichern. Die Benutzerfreundlichkeit ist vorbildlich, allerdings ist das Modell nicht kostenlos. Der Zugang zu deutschsprachigen Daten kostet im ersten Monat aber nur 1,99 Euro.


www.volksbund.de

4,5 Millionen Einträge zu Gefallenen und Vermißten der beiden Weltkriege stehen hier nach der kostenlosen Registrierung zur Verfügung. Wer einen Angehörigen sucht, dessen Schicksal in den Kriegswirren ungewiß ist, hat hier zumindest große Chancen.


Analoge Quellen nicht verachten!

Neben Standesamtsunterlagen und Kirchenbüchern sind auch Jahrbücher, Todesanzeigen, Verlustlisten oder Soldbücher wertvolle Hinweise. Fündig wird man oft in Ortschroniken, die in vielen Gemeinden von Heimatvereinen oder engagierten Bürgern herausgegeben werden. Falls die Vorfahren ein Geschäft betrieben haben, können auch alte Werbeanzeigen in der Lokalzeitung Aufschluß geben. Ebenfalls wertvoll sind Einwohnerbücher, die bis in die 1970er Jahre von Gemeinden veröffentlicht wurden und die neben Namen und Adressen auch den Beruf des männlichen Familienvorstandes enthielten.

Für das Recherchieren von Kriegsschicksalen der Wehrmachtsangehörigen, von militärischen Laufbahnen und Einsatzorten sind die Unterlagen der früheren Deutschen Dienststelle (WASt) ebenfalls eine unverzichtbare und verläßliche Quelle. Ob Wehrpässe, Wehrstammbücher, Kranken- und Lazarettbücher, Gräberkarteien – die Unterlagen militärischer Herkunft haben einen Umfang von 75.000 laufenden Metern. Seit 2019 sind sie als „Fachabteilung Personenbezogene Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg“ (PA) ins Bundesarchiv eingegliedert worden. Auskunftsanträge müssen schriftlich gestellt werden.

 www.bundesarchiv.de


 Nachschlagewerke

Wer ältere Quellen studieren will, stößt oft auf alte Handschriften, die schwer zu entziffern sind. In Kirchenbüchern finden sich zudem viele Eintragungen auf Latein. Auch sind Kenntnisse in Regional- und Nationalgeschichte bei der Ahnenforschung nützlich. Jedenfalls sollte man wissen, wo etwas steht!


Diese Nachschlagewerke helfen bestimmt weiter:

l „Alte Kirchenbücher richtig lesen. Hand- und Übungsbuch für Familiengeschichtsforscher“ (2004). 232 Seiten mit vielen Abbildungen. Autor: Prof. Dr. Roger P. Minert, Lehrstuhlinhaber für deutsche Familiengeschichtsforschung.

l www.wiki-de.genealogy.net: Diese Online-Enzyklopädie erklärt alte Münzen und Maße, Adelstitel und Militärränge, historische Rechtsbegriffe und Berufsbezeichnungen und verschwundene Ausdrücke von A wie Auffahrt bis Z wie Zweitäger.


 Verbände

Wer allein nicht weiterkommt und die Hilfe von Fachleuten braucht, kann sich auch an einen der zahlreichen Verbände richten, beispielsweise an die Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände (DAGV) in Essen, die Deutsche Zentralstelle für Genealogie in Leipzig oder gleich an die Confédération Internationale de Généalogie et d’Héraldique (Internationaler Bund für Genealogie und Heraldik – CIGH) in Paris.

l Tip: Alte Fotos und Postkarten können eine Fundgrube sein!

Ob auf dem Flohmarkt oder auf eBay: Fotoalben und Ansichtskarten von Anno Dazumal können so manche Überraschung bergen, wie das Geburtshaus oder Ladenlokal gesuchter Verwandter. Leider sind alte Fotografien in den wenigsten Fällen beschriftet, so daß oft echte Ermittlerarbeit gefragt ist. Trotzdem lohnt sich das Stöbern auf jeden Fall.


 Vorsicht Datenschutz!

Wer sich mit einer Anfrage an Standesämter oder Kirchengemeinden richtet, sollte nicht vergessen, sein Verwandtschaftsverhältnis anzugeben, sonst erhält man keine Auskunft – Datenschutz! Die Richtlinien sind in Deutschland streng: Auskunftsberechtigt sind nur Verwandte direkter Linie. Andererseits sollte man auf Stammbaum-Plattformen im Internet nicht zu freigiebig mit den eigenen Daten sein, denn diese sind unter Umständen auch für andere Nutzer einsehbar.


Was sagt die DNS?

Die Ahnenforschung per DNS-Test wird immer beliebter. In den USA oder Israel ist es populär, auf diese Weise herauszufinden, welcher Abstammung man ist. In Deutschland gilt das als potentiell „rassistisch“ und damit verdächtig. Das Verfahren ist simpel: Das Test-Set besteht aus einem Röhrchen und einem Wattestäbchen. Die Speichelprobe sendet man mit dem beiliegenden Rückumschlag an das Labor, und bald erhält man das Ergebnis, zum Beispiel „100 Prozent isländisch“. Die Kosten variieren je nach Anbieter, ab 69 Euro ist man dabei.

In einer Zeit globaler Entwurzelung und fragmentierter Gesellschaften scheint die Suche nach der eigenen Herkunft ein Abwehrreflex zu sein. Je lauter Kultur und Medien einen bindungslosen Individualismus propagieren, wollen sich die Menschen vergewissern, woher sie kommen und mit wem sie verbunden sind. Dieser Eindruck vermittelt sich jedenfalls, wenn man die Erfahrungsberichte der Nutzer von Genealogie-Portalen im Internet liest. Die menschliche Natur ist eben doch nicht bestechlich …