© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Vom Bagger zum Kunstpinsel
Kunstmarkt: Kam in Hamburg wirklich ein echter Van Gogh zur Versteigerung? / Verwertung von Konkursmassen über Online-Auktionen
Martin Krüger

Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Auto- und Flugzeugbranche, den hochwertigen Einzelhandel und die komplette Gastronomie sowie die Reise- und Veranstaltungsbranche bis hin zu den Messebauern hart getroffen. Tausenden deutschen Unternehmen droht die Pleite, wenn die Insolvenzantragspflicht 2021 wieder auflebt (JF 36/20). Die Auskunftei Creditreform schätzt die Zahl der „verdeckt verschuldeten“ Firmen auf 550.000 – das wären fast 16 Prozent aller Unternehmen und Soloselbständigen.

Auch der Kunstmarkt und die Auktionshäuser sind von den globalen Shutdown-Maßnahmen betroffen. Das Gemälde „Die Mühle von Wijk“ wurde daher in Hamburg zur Online-Versteigerung angeboten. Das Werk aus dem 19. Jahrhundert wurde vergangenen Dienstag vom Hamburger „Auktionshaus Dechow“ zum Mindestgebot von 500.000 Euro angeboten. Die auf zehn Stunden angesetzte Auktion erfuhr erst am Nachmittag etwas Belebung. Nach nur drei Geboten fiel schließlich der virtuelle Hammer bei nur 550.000 Euro.

Zweifel an der Echtheit der frühen Werke van Goghs

Das als führende Instanz geltende Amsterdamer „Van Gogh Museum“ hatte das Gemälde untersucht und bezweifelt, daß das Kunstwerk tatsächlich von Vincent van Gogh gemalt wurde. Der Projektleiter bei Dechow, Jens-Peter Franz, beklagt, daß das holländische Museum seinen Standpunkt nicht begründet. Er könne die Echtheit des Bildes zwar nicht beweisen, aber es gäbe sehr viele Indizien dafür. So soll das Gemälde im Jahr 1904 von einem Leipziger Kaufmann in Paris erworben worden sein. Dieser habe es an seine Enkelin vererbt, die es wiederum nach ihrem Umzug nach Neustadt in Holstein an die heutigen Besitzer im Großraum Kiel verkauft haben soll. Der Kaufpreis habe zu D-Mark-Zeiten im Jahr 1994 einen fünfstelligen D-Mark-Betrag ausgemacht.

Das Auktionshaus stellte auch ein Gutachten zur Farbe des Bildes und die Expertise des Kieler Kunsthistorikers Ulrich Kuder entgegen. Der emeritierte Professor hält das Bildnis für ein Werk aus der Frühphase van Goghs. Van Gogh (1853–1890) habe sich für den niederländischen Maler Jacob van Ruisdael interessiert. Und dieser habe ungefähr 1760 „Die Mühle von Wijk bij Duurstede“ gemalt. Van Gogh habe dieses Bild kopiert und etwas verändert. Es passe zur „Haager Schule“, der die frühen Werke van Goghs zuzurechnen seien.

Zudem sei das Bild mit der für den Künstler ungewöhnlichen Signatur „van Gogh“ unterzeichnet. Der Experte dreht damit den Spieß um, denn er meint, kein Fälscher würde das tun. Ein Fälscher wisse, daß van Gogh mit ‘Vincent’ signiert habe. Außerdem sei im Schriftzug die Handschrift des berühmten Malers erkennbar. Sogar mit Hilfe von künstlicher Intelligenz sei die Echtheit überprüft worden – angeblich ohne Auffälligkeiten einer Fälschung. Ob das umstrittene Gemälde von Kiel an den ungenannten Käufer geht, bleibt offen. Die Auktion stand unter dem Vorbehalt, daß der Verkäufer das Gebot nachträglich ablehnen darf.

Und warum hat ein auf Industriegüter wie große Bagger oder Maschinen spezialisiertes Auktionshaus überhaupt ein Kunstwerk im Angebot? Dechow hat einen guten Namen. 1904 von Hieronymus W. Dechow gegründet, sind die Hamburger heute Marktführer in der Bewertung von Kreditsicherheiten. Von sieben Standorten in Deutschland wird das Geschäft – zu dem die Insolvenzverwertung maßgeblich beiträgt – betrieben. 2006 kamen die Reste des Organisationskomitees der Fußball-WM bis hin zu den Trainerbänken zur Versteigerung. Ein Jahr später kam das deutsche Inventar der taiwanesischen Firma BenQ – 2005 Käufer der Mobiltelefon-Sparte von Siemens – unter den Hamburger Hammer. Auch bei der Abwicklung des Flugzeugbauer Fairchild Dornier, der Anlagenfirma Babcock Borsig und des Flowtex-Betrugs (JF 29/20) war Dechow mit an Bord.

In den 1980er Jahren übernahm der heutige Geschäftsführer Peter Bröker das Auktionshaus von der Gründerfamilie. Als Immobilienexperte bewertete er im Bankenauftrag seinerzeit Immobilien, die als Kreditsicherheit dienten und. Schwerpunkt war damals die Verwertung von Brauereien, die unter einer Pleitewelle litten. Zur Treuhandzeit mit ihren Gesamtvollstreckungsverfahren in der Ex-DDR stieg sein Sohn Jan Böker ins Geschäft ein. Bis zum Jahr 2000 lag dann der Schwerpunkt des Auktionshauses auf Haushaltsauflösungen und der Verwertung von Konkursmassen aus Firmenauflösungen.

Dann begannen Peter Bröker und sein Sohn Jan das Auktionsgeschäft zu forcieren. Dazu wurden im Vorfeld Wertgutachten erstellt und den Kunden damit eine Orientierungshilfe zur Verfügung gestellt. In der Folge wurde der Kundenkreis deutlich größer. Banken und Leasinggesellschaften kamen hinzu. Parallel ging es von Hamburg hinaus über Deutschland nach Europa insgesamt. Startschuß war die Gründung der Firma Karner & Dechow Auktionen in Österreich. Danach entwickelte sich die Unternehmensstruktur rasant weiter. In Kooperation mit der BVA, einer niederländischen Versteigerungsplattform, ging das Autionshaus zusammen. Die Auctio Group wurde gegründet.

Diese ist 2018 wiederum mit der Troostwijk-Gruppe fusioniert und wurde zu TBAuctions. Dechow als Firma blieb dabei aber erhalten. Nur die Plattform wurde genutzt und das Marktpotential um Europa erweitert. Schon 2006 fiel der Startschuß zu den Online-Auktionen, die zunächst nur eine Ergänzung der Präsenztermine waren. Inzwischen findet alles nur noch online statt. Das erhöht die Kundenreichweite und senkt die Kosten – und in Corona-Zeiten muß sich niemand mehr an einen auswärtigen Ort mit den Auktionsgütern bewegen.

Auktionsplattform von Troostwijk Auctions:

 www.troostwijkauctions.com

 www.dechow.de