© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Apokalyptische Ausblicke eines Wirtschaftshistorikers
Corona – beispiellos entsetzlich
(ob)

Der an der New Yorker Columbia-Universität wirkende britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze sucht zuerst in der Geschichte nach Orientierung, um die sozioökonomischen Verwerfungen der gegenwärtigen Corona-Pandemie beurteilen zu können. Aber die Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts verrät ihm nur, daß es hier offensichtlich etwas beispiellos Neues gibt – „und es ist entsetzlich“. Die Schrumpfungsrate des Bruttoinlandsprodukts sei in den USA bereits im April viermal schneller gewesen als während der Großen Depression in den 1930er Jahren. Mit dem Ausblick auf die Entwicklungen in diesem Herbst sei daher die alle historischen Maßstäbe sprengende Feststellung nicht allzu gewagt, daß die westlichen Ökonomien einem „weitaus tieferen und brutaleren Schock gegenüberstehen als sie ihn je zuvor erfahren haben“ (Blätter für deutsche und nationale Politik, 5/2020). Schon jetzt sei klar, dagegen reiche auch „die größte vereinte finanzielle Anstrengung seit dem Zweiten Weltkrieg“ in Gestalt von weltweit serienweise geschnürten Konjunkturpaketen allein nicht aus. Fatal wäre es, gäbe es eine „Flucht in die Sicherheit“, wie sie der US-Konsument, die größte Nachfragequelle der Weltwirtschaft, nach der Finanzkrise 2008 antrat. Die führte zwar zum privaten Schuldenabbau, verursachte aber eine „säkulare Stagnation“, die in den Corona-Absturz mündete. 


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