© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Kabinenklatsch
Corona-politisch korrekte Heuchelei
Ronald Berthold

Wenn Deutschland gegen Spanien antrat, saß ich bisher mit meinen Söhnen wie gebannt vor der Mattscheibe. Vergangene Woche war es wieder soweit. Aber: Ich hatte es diesmal völlig vergessen. Das Ergebnis erfuhr ich erst am nächsten Tag, durch Zufall. So etwas ist mir bei einem Länderspiel noch nie passiert. Und als ich hörte, daß die Spanier erst in der Nachspielzeit ausgeglichen haben, ging das relativ emotionslos an mir vorbei. Früher hätte ich mich wahnsinnig geärgert – zumal es ja um Punkte in einem Wettbewerb geht: die neue Nations League.

Fußball ist ein wichtiger Teil meines Lebens, seit ich zur Schule gehe. Wenn Hertha oder Deutschland spielte, habe ich mir das fett in meinen Kalender eingetragen, um mich ja nicht versehentlich zu verabreden oder Theaterkarten zu kaufen. Doch plötzlich: Desinteresse! Woran liegt das? frage ich mich wehmütig.

Und siehe da: Beim Torjubel lagen sich die Spieler doch wieder in den Armen.

An der Nations League – einem der überflüssigen Turniere, die die Einnahmen noch mehr ins Unermeßliche steigern sollen? Daran, daß nur die Hälfte der Spieler keinen Migrationshintergrund hat? Oder daran, daß Geisterspiele nerven? Ohne Stimmung auf den Tribünen ist der einstige Volkssport so ein bißchen wie Politik – bürgerfern und abgehoben.

Als mir dann mein Bruder einen Screenshot schickte, der beim Abspielen der Hymnen gemacht wurde, mußte ich erst recht den Kopf schütteln. Während die Spanier Arm in Arm dem „Marcha Real“ lauschten, bei dem man nicht einmal mitsingen kann, weil er keinen Text kennt, standen die Löw-Kicker beim Deutschlandlied corona-politisch korrekt weit auseinander.

Wie lächerlich! Wo sie sich doch unterhaken, wenn sie eine Mauer bilden oder mit Vollkontakt in die Zweikämpfe gehen. Hier spielte die Hysterische Republik Deutschland gegen das – Panik, bitte! – Risikogebiet. Und dann habe ich mir doch eine Zusammenfassung angeschaut – nur um zu gucken, wie die Spieler nach Werners 1:0 jubelten. Und siehe da: Sie fielen sich in die Arme. Die Corona-Heuchelei kennt auch im Fußball keine Grenzen. Gut, daß ich nicht eingeschaltet hatte.