© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Aufgeschnappt
Wir lieben Typographie
Matthias Bäkermann

Regionale Lebensmittel sind im Trend. Um seine regionale Verortung im früheren Eisenbahnausbesserungswerk besonders zu betonen, entschloß sich der Greifswalder Betreiber des Edeka-Marktes am Gleis 4, seine Hinweistafeln im Laden typographisch anzupassen. Dazu wählte er die früher auf vielen deutschen Bahnhofsschildern präsente Schriftart „Tannenberg“.  

Umgehend problematisierten die Betreiber des Antifa-Facebook-Accounts „Kriminelle Ossis Abschieben“ die „Nazi-Symbolik“ und trommelten kräftig im Netz. „Experten“ der Universität Greifswald wußten beizutragen, daß es sich dabei um eine vom deutschen Typographen Erich Meyer entwickelte Schrift handelte, die 1935 von der Reichsbahn übernommen wurde und bis heute an einigen Bahnhöfen wie am Potsdamer Platz in Berlin überlebt hat. Wegen dieser historischen Nähe zum Nationalsozialismus sah sich vergangene Woche dann sogar der Edeka-Konzern zu einer Stellungnahme genötigt: „Mit der ausgewählten Schriftart wollte der Kaufmann niemanden verletzen, sondern dem denkmalgeschützten Gebäude besonderen Wert zumessen.“ Dennoch nehme die Firmenzentrale die Vorwürfe der Antifa ernst und werde gemeinsam mit dem Betreiber „das Ladendesign einer ausführlichen Prüfung unterziehen“.