© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Platz da!
Debatte um Moria: Nach dem Brand im griechischen Aufnahmelager will die Bundesregierung zusätzliche Migranten aufnehmen / Kritik kommt von der AfD
Peter Möller

Bei einer guten politischen Kampagne überlassen die Planer nichts dem Zufall. Wenn dann noch Glück dazukommt, läßt sich der Erfolg kaum noch aufhalten. Diese Beschreibung paßt auch auf die seit vergangener Woche laufende Kampagne zur Übernahme von Flüchtlingen aus dem Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Gestartet wurde sie Anfang vergangener Woche mit dem Aufstellen von 13.000 Stühlen vor dem Reichstag in Berlin. Mit der Aktion wollten die Initiatoren, darunter die Flüchtlings- und Asyl-Lobbyorganisationen Seebrücke, Sea-Watch, #LeaveNoOneBehind und Campact (JF 28/20) nach eigenen Angaben auf die katastrophale Lage der rund 13.000 Einwanderer im Lager von Moria hinweisen und die Evakuierung der Einrichtung fordern, sowie an „den Platz und die Aufnahmebereitschaft der Städte, Länder und Zivilgesellschaft“ in Deutschland erinnern. 

Die Stuhl-Aktion war der Höhepunkt der bereits seit Wochen und Monaten unter dem Motte „Wir haben Platz“ laufenden und von vielen Politikern aus Linkspartei, SPD und Grünen unterstützten Kampagne zur Aufnahme von Migranten aus Moria in Deutschland. Das „Glück“ der Kampagnenmacher kam unmittelbar nach der Stuhl-Aktion in der Nacht zum Mittwoch vergangener Woche in Gestalt eines Feuers, dem weite Teile des Lagers zum Opfer fielen. Durch diese Katastrophe, die nach Ansicht der griechischen Behörden von Lagerbewohnern mutwillig verursacht wurde, und die daraus resultierenden Bilder Obdachloser, hat die innenpolitische Diskussion über die Aufnahme von Asylbewerbern aus Moria eine Dynamik erhalten, von der die Kampagnenmacher der Reichstags-Aktion vermutlich nicht einmal geträumt haben. Am Dienstag dieser Woche konnten sie dann einen ersten Erfolg für sich verbuchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bekundeten die Bereitschaft Deutschlands, 1.500 Bewohner aus dem abgebrannten Aufnahmelager nach Deutschland zu holen.

Bereits am vergangenen Freitag hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verkündet, Deutschland werde von den 400 sogenannten „Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die aus Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden sollen, 100 bis 150 Jugendliche aufnehmen. Zugleich hatte er Verhandlungen mit der griechischen Regierung über die Aufnahme von Familien mit Kindern aus dem abgebrannten Lager auf Lesbos angekündigt.

„Signal mit verheerender Sogwirkung gesendet“

Am Montag hatte die Parteiführung der SPD dann den Druck auf die Union in der Flüchtlingsfrage deutlich erhöht und die Aufnahme von wesentlich mehr Migranten aus dem abgebrannten Lager Moria als bis dahin geplant gefordert. „Wir wollen, daß Deutschland durch ein Aufnahmeprogramm des Bundes einem maßgeblichen Anteil dieser geflüchteten Menschen schnell, organisiert und kontrolliert Aufnahme, Schutz und Perspektive bietet“, heißt es in einer am Montag in Berlin beschlossenen Resolution des SPD-Parteivorstands. „Allein 400 unbegleitete Kinder auf mehrere EU-Staaten zu verteilen und davon 150 nach Deutschland zu bringen, ist völlig ungenügend“.

Bis zur Entscheidung Merkels und Seehofers am Dienstag, die Zahl der Aufzunehmenden zu erhöhen, versuchten zumindest einige Unionspolitiker, sich dem wachsenden Druck entgegenzustemmen. „Die Übernahme von Migranten und Flüchtlingen von den europäischen Außengrenzen muß aber eine Ausnahme in der aktuellen Notsituation bleiben“, sagte etwa der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), der Deutschen Presse-Agentur.  Auch wäre ein nationaler deutscher Alleingang politisch ein falsches Signal. „Eine Situation wie 2015 darf sich nicht wiederholen“, sagte er. Die anderen Europäer dürften nicht den Eindruck gewinnen, Deutschland kümmere sich um die Asylbewerber schon allein.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte Seehofer dagegen am Montag auf, aktiv zu werden: „Vielleicht muß man ihn einmal daran erinnern, daß wir gerade die EU-Ratspräsidentschaft haben. Es geht nicht um einen Alleingang, es geht um Vorangehen“, sagte Göring-Eckardt dem Sender Bayern 2. Die Grünen-Politikerin war unmittelbar nach dem Brand in Moria auf Lesbos aufgetaucht, obwohl zeitgleich in Berlin der Bundestag debattierte, und hatte von Lesbos aus Stimmung für die Aufnahme möglichst vieler Migranten in Deutschland gemacht. Auf Twitter schrieb sie am vergangenen Freitag von der Insel: „Es reicht einfach nicht, 150 unbegleitete Kinder aufzunehmen. Hier sind Babys mit Eltern, 6jährige, die nicht zur Schule gehen. Kranke ohne Versorgung. Alle Menschen hier leben in unwürdigsten Umständen. Herr #Seehofer geben Sie Ihre Blockade gegen die Menschlichkeit auf!“

Andere Töne kamen dagegen von der AfD. Die Aufnahme von Migranten aus dem griechischen Lager Moria könne der Startschuß für eine Wiederholung von 2015 werden, warnte Fraktionschef Alexander Gauland. „Was sich nicht wiederholen sollte, steht kurz davor sich zu wiederholen. Erneut wird ein katastrophales Signal mit verheerender Sogwirkung ausgesendet. Das darf nicht geschehen.“

Unterdessen wiesen Beobachter angesichts der heißlaufenden innenpolitischen Diskussion über die Aufnahmemodalitäten immer wieder darauf hin, daß Griechenland es mehrfach abgelehnt habe, Bewohner des zerstörten Lagers Moria in andere europäische Länder weiterreisen zu lassen, da Athen ansonsten einen neuen Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer befürchtet. Doch davon und von der in Aussicht gestellten Aufnahme von 1.500 Lesbos-Einwanderern werden sich die geschickten Macher der Kampagne der 13.000 Stühle vor dem Reichstag kaum beeindrucken lassen.