© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Roter Oktober
Linkspartei: Im Herbst wählt ein Parteitag ein neues Führungsduo / Aussichtsreichste Kandidatinnen mit Verbindungen nach linksaußen
Paul Leonhard

Drei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR drängen die umbenannten Einheitssozialisten im geeinten Deutschland in Regierungsverantwortung. Nicht etwa nur in einigen mitteldeutschen Ländern, sondern im Bund. „Es gibt bei der nächsten Bundestagswahl ein historisches Möglichkeitsfenster“, gibt die nach acht Jahren demnächst aus dem Amt scheidende Linken-Parteichefin Katja Kipping ihren Amtsnachfolgern mit auf den Weg: „Dazu müssen wir den Ansatz ‘Regieren in Bewegung’ mit der Bereitschaft zum Konflikt ausbauen und auch im Bund Regierung wagen.“

Auch deswegen bemühen sich die beiden aktuell aussichtsreichsten Kandidaten um den Parteivorsitz, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, noch schnell vor dem Bundesparteitag Ballast abzuwerfen. Etwa Mitgliedschaften in Organisationen, die es Funktionären der anderen Parteien schwermachen würden, mit ihnen auf Augenhöhe über eine Koalition zu verhandeln. Vorausgesetzt, SPD, Grüne und Linkspartei bekommen gemeinsam mehr Zustimmung bei der Bundestagswahl 2021 als die 42 Prozent in aktuellen Umfragen.

„Änderung der Eigentumsverhältnisse“

Wissler bedient zwar nach wie vor ihre Genossen mit bewährter Klassenkampfrhetorik, hat aber betont, „die Unterstützung und Mitgliedschaft in innerparteilichen Strömungen zu beenden“. Damit meint sie die Bundesarbeitsgemeinschaft „Bewegungslinke“ sowie die vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen „Sozialistische Linke“ und die trotzkistische „Marx21“, die beide eine Regierungsbeteiligung der Linken grundsätzlich ablehnen. Die 39jährige Parteilinke ist bereits stellvertretende Bundesvorsitzende und führt die Landtagsfraktion in Hessen. Ihre Mitstreiter rechnen zumindest nicht damit, daß sich Wissler mit dem Austritt auch von den inhaltlichen Positionen der Netzwerke verabschiedet. Sie werde „sicher sehr realis­tisch sehen, wie die Kräf­te­kon­stel­la­tio­nen sind, die dann eine gesell­schafts­po­li­ti­sche Verän­de­rung ermög­li­chen“, zitierte die FAS den ehemaligen hessischen Linksfraktionschef Willi van Ooyen. Demokratie, so bekannte Wissler, die auch gern mal vom „sogenannten Verfassungsschutz“ spricht, bedeute „eine grund­le­gen­de Ände­rung der Macht- und Eigen­tums­ver­hält­nis­se“.

Die in der Partei dagegen als Pragmatikerin geltende Hennig-Wellsow, seit sieben Jahren Chefin der Landtagsfraktion in Thüringen, führte in ihrem Bewerbungsschreiben für die Landtagskandidatur unter „gesellschaftliches Engagement“ die Mitgliedschaft in der linksextremistischen Organisation „Rote Hilfe“ an. Bundesweit bekannt wurde Hennig-Wellsow, die in der Fraktion für Bildung sowie Antifa-Arbeit zuständig ist und auch an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 beteiligt war, als sie als Vorsitzende der größten Landtagsfraktion dem frisch gewählten Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich den üblichen Handschlag verweigerte und ihm den für den Wahlsieger bestimmten Blumenstrauß vor die Füße war: FDP und CDU seien „skrupellos den Pakt mit dem Faschismus eingegangen“, begründete sie ihre Aktion. 

Ob dem scheidenden Führungsduo Katja Kipping/Bernd Riexinger, das vor acht Jahren eine intern heftig zerstrittene Partei befrieden mußte, tatsächlich eine weibliche Doppelspitze folgt, wird der  Bundesparteitag entscheiden, der vom 30. Oktober bis 1. November in Erfurt stattfindet. Laut Satzung sind lediglich zwei männliche Parteivorsitzende ausgeschlossen. 

Während also ein Platz für eine Frau vorgeschrieben ist, könnten sich für den zweiten Frauen und Männer bewerben. Und hier droht Konkurrenz: Als potentielle Kandidaten gehandelt werden derzeit der stellvertretende Parteivorsitzende Ali Al-Dailami aus Hessen, der den linken Flügel vertritt,  Bundestags-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte und der frühere Bundesgeschäftsführer Mat-thias Höhn, die beide dem Reformerlager zugerechnet werden. 

Über parteiinterne Strömungsgrenzen hinweg haben sich die Linkssozialisten bereits geeinigt, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen, wenn es im Bund für Rot-Grün-Rot reichen sollte. Über früher verbindliche Haltelinien, wie die Ablehnung von Bundeswehrauslandseinsätzen, wird kaum noch gesprochen.