© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bitte Abstand halten
Paul Rosen

Nach dem angeblichen Sturm auf den Reichstag passiert erst einmal – nichts. Zwar haben vom Bundespräsidenten bis zum letzten Hinterbänkler alle zu Protokoll gegeben, daß der „Hort der Demokratie“ (Berliner Morgenpost) besser geschützt werden müsse, aber mehr als die in strittigen Fragen übliche Hinhaltetaktik gab es im Ältestenrat des Bundestages nicht. Das Gremium beschloß, Berichte anzufordern, zum Beispiel vom Berliner Senat, dessen Polizeikonzept offenkundig einige Fehleinschätzungen enthielt, weil zeitweilig nur drei Polizisten vor dem Westeingang des Reichstages standen, dessen Treppe die Demonstranten nach dem Überwinden von Polizeiabsperrungen hinaufstürmten (JF 37/20).  

Inzwischen besteht immerhin Klarheit, daß der angebliche Sturm – abgesehen von der Symbolwirkung der Fotos fahnenschwenkender Demonstranten an diesem Ort – für die Sicherheitslage ohne Belang war. „Die tatsächliche Erstürmung des Gebäudes, also das Eindringen, wäre nicht möglich gewesen. Die rund 400 Menschen hätten dies ohne den Einsatz von schweren Waffen nicht geschafft“, stellte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki fest. Der FDP-Politiker weiß Bescheid, denn er ist Vorsitzender der Baukommission des Ältestenrats und kennt die Ausführung der Glastüren: Beim Glas handelt es sich um Panzerglas.“ Und im Gebäude selbst sei genügend gut ausgerüstete Bundestagspolizei gewesen. Insgesamt sind die Sicherheitsprobleme in und um den Reichstag weitaus gravierender. „Wir können nicht zulassen, daß Parlamentsgebäude von Aktivisten für Werbeaktionen mißbraucht werden“, meinte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer. Solche sogenannten Aktivisten sind bereits mehrfach ein Problem gewesen – sogar im Reichstag. Anfang Juli hatten Mitarbeiter von Greenpeace vom Dach Transparente entrollt.

Auch Mitglieder von „Extinction Rebellion“ (JF 3/20) schafften es ins Gebäude und demonstrierten. Die Öko-Truppen hatten allerdings keine panzerbrechenden Waffen, sondern es gab Abgeordnete, „die dazu beigetragen haben, daß Greenpeace sein Equipment in den Bundestag schaffen konnte“, wie Kubicki berichtete. Auch „Extinction Rebellion“ hatte Unterstützer in Reihen der Abgeordneten oder Fraktionen. Sie wären sonst ebenso an den Türen gescheitert wie die Corona-Demonstranten, erklärte Kubicki.

Vor allem in der CDU/CSU-Fraktion gibt es jetzt Sympathien, den Reichstag genauso wie das Schloß Bellevue, den Sitz des Bundespräsidenten, nicht mehr von der Berliner Landes-, sondern von der Bundespolizei schützen zu lassen; in der Hoffnung, daß diese dem Schutz des Gebäudes mehr Bedeutung beimißt. Außerdem soll es in einigen Jahren einen Wassergraben vor dem Gebäude geben. der vor terroristischen Angriffen schützt, aber auch Demonstranten abhielte. Für das wirksamste Mittel, die Schaffung einer Bannmeile, die Demonstrationen vor, in und auf dem Reichstag grundsätzlich verbietet und damit den Sicherheitskräften eine starke gesetzliche Grundlage zum Eingreifen geben würde, findet sich in den Gremien bisher keine Mehrheit.