© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Wer lügt?
Abou-Chaker-Prozeß: Mitglieder des arabischen Clans sind angeklagt, den Rapper Bushido bedroht und mißhandelt zu haben – doch dessen Aussagen sind widersprüchlich
Björn Harms

Vor dem Kriminalgericht in Berlin-Moabit nahm am Montag zunächst alles seinen gewohnten Gang: Der Rapper Bushido, bürgerlich Anis Ferchichi, erschien pünktlich in Begleitung von vermummten LKA-Beamten zum Gerichtstermin, um als Nebenkläger und zugleich wichtigster Zeuge dem Prozeß gegen vier Angehörige der berüchtigten arabischen Großfamilie Abou-Chaker beizuwohnen.

Seit dem 17. August stehen Clanchef Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder vor Gericht. Jeder von ihnen verweigert die Aussage. Den Männern wird versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung sowie Untreue vorgeworfen. Das Opfer: Bushido. 

Doch der jüngste Verhandlungstag dauert nur sechs Minuten, dann ist auch schon wieder alles vorbei. Der Vorsitzende Richter unterbricht die Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung. Es gebe „sich überschlagende Ereignisse, die es untunlich machen, die Hauptverhandlung fortzusetzen“. Der Mutter der Clan-Familie gehe es „sehr schlecht“, erklärt Justiz-Sprecherin Lisa Jani. Tatsächlich stirbt die Frau einen Tag später, wie die Bild-Zeitung berichtet. Der nächste Termin ist nun auf den 30. September angesetzt.

Wollte der Clan eine Abfindung kassieren?

Arafat Abou-Chaker war 14 Jahre lang Teilhaber von Bushidos Plattenlabel. Die beiden führten gemeinsam eine millionenschwere Immobilienfirma. Dann jedoch kam es zum Zerwürfnis. Bushido packte gegenüber dem LKA aus und steht seitdem unter Polizeischutz. Der Rapper sei im Dezember 2017 und Januar 2018 bedroht, beschimpft, eingesperrt und beim zweiten Treffen mit einer halbvollen Wasserflasche sowie einem Stuhl attackiert worden, heißt es unter anderem in der Anklage. Offenbar wollte die arabische Großfamilie eine millionenschwere Abfindung erpressen. 

Das Musikgeschäft ist dabei nur einer von vielen Bereichen, in dem die arabischen Großfamilien in den letzten Jahren Fuß gefaßt haben. Der ehemalige Berliner Chefermittler gegen die Organisierte Kriminalität, Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra, der sich seit Juli im Ruhestand befindet, gab kürzlich in der B.Z. unumwunden zu: Berlin könne der ausufernden Clan-Kriminalität nicht mehr Herr werden. „Ich sage ganz deutlich: Wir sind nicht in der Lage, dieses Phänomen auszurotten“, sagte Kamstra. 

Heißt im Klartext: Die Staatsanwaltschaft ist darauf angewiesen, jede nur denkbare Möglichkeit zu nutzen, die sich bietet, um die Clans in Bedrängnis zu bringen. Und mal ehrlich, was für ein Gottesgeschenk ist da die Zeugenaussage von Deutschlands bekanntestem Rapper, der jahrelang in diesem Milieu unterwegs war? Die Tragweite des Prozesses ist dementsprechend groß. Sollte die Anklage platzen, wäre dies jedoch ein erheblicher Rückschlag für die Berliner Staatsanwaltschaft. Und die Zweifel sind nicht ganz unbegründet.

Denn auf einem ganz anderen Blatt steht, wie authentisch die Aussagen Bushidos sind. Der Rechtsstaat hat nicht den Ruf der Familie zu bewerten, sondern muß konkrete Straftaten nachweisen. Nicht nur die Anwälte der Abou-Chakers, auch andere ehemalige Weggefährten werfen Bushido vor, seit jeher die Öffentlichkeit gezielt für sich zu nutzen, um sich als Opfer zu inszenieren. Jahrelang habe er die Macht seines „Rückens“ genüßlich in Anspruch genommen, Geschäftspartner unter Druck gesetzt und andere Rapper bedroht, ohne daß ihm etwas passieren konnte. Mit der Abou-Chaker-Familie wollte sich niemand anlegen.

Mitunter konnte das auch handfeste Konsequenzen haben. Der Rapper Fler, der eine jahrelange Fehde mit Bushido austrug, wurde 2007 von zwei Unbekannten in Berlin-Kreuzberg mit einem Messer attackiert. Heute sagt er: Bushido habe damals zwei Angehörige der Abou-Chakers bewußt auf ihn angesetzt. Mit den Abou-Chakers habe er sich Jahre später an einen Tisch gesetzt und ausgesprochen. Beim Thema Bushido sehe das jedoch anders aus: „Arafat Abou-Chaker mag ein schlimmer Typ sein, seine Familie hat bestimmt viele kriminelle Sachen gemacht. Man kennt ja deren Ruf. Aber bei diesem Bushido-Thema werde ich jetzt nicht dasitzen und zugucken, wie der sich als Opfer darstellt“, meinte Fler in der vergangenen Woche im „100% Realtalk“-Podcast seiner Rapkollegen MC Bogy und B-Lash.

Gleichzeitig äußerte er sich auch ziemlich freimütig zum Mammutprozeß um die Großfamilie: „Peter Rossberg von der Bild-Zeitung, Bushido und das LKA arbeiten zusammen“, behauptete der Musiker. Weil ihm das ein Ermittler vom LKA bestätigt habe, könne er das auch so sagen. Die Polizei müsse ihre Ermittlungen rechtfertigen, Bushido sich als harmlos darstellen und der Journalist Peter Rossberg, der den bekannten Polizei-Podcast „Sicherheit für die Ohren“ führt, diene als williges, unkritisches Medium dafür. 

Was sagt die Polizei dazu? „Im Rahmen der alltäglichen Arbeit wurde Herrn Rossberg ein Interview zu den Themen organisierte Kriminalität / arabische Großfamilien mit einem Mitarbeiter des LKA vermittelt“, heißt es von seiten der Pressestelle gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Nicht nur dem Bild-Journalisten, sondern natürlich auch anderen Journalisten würden diese Hintergrundgespräche vermittelt werden.

Doch offenbar scheinen Fler und der zuständige LKA-Beamte sich ziemlich ausgiebig über Interna ausgetauscht zu haben. Die meisten LKA-Beamten könnten die Angelegenheit selbst kaum noch nachvollziehen, sagte Fler im Podcast und spielte damit auf den Personenschutz für Bushido an. „Die haben selber die Faxen dicke.“ „Was soll das da, die ganze Sache mit Bushido?“ würden sie sich fragen. Genugtuung hätten ihm vor allem die ersten Prozeßtage verschafft: „Der Richter will das alles hören.“

FDP-Politiker Luthe spricht von „Showveranstaltungen“

Tatsächlich hatte sich der Vorsitzende Richter in der vergangenen Woche die Autobiographie Bushidos bringen lassen und den Rapper vor Gericht mit den Inhalten konfrontiert. So zitierte er aus dem Kapitel „Arafat, der Große“, in dem Bushido Abou-Chaker „über den grünen Klee lobt“. Im gesamten Buch wird die Zusammenarbeit mit den Abou-Chakers als freiwillig dargestellt. „Es hat zum Gangsterimage gepaßt“, erklärte Bushido laut dem Spiegel vor Gericht. Für „die Außendarstellung“ sei es besser gewesen zu behaupten, er habe sich freiwillig auf „diese Leute“ eingelassen. Bushido sei nur eine Kunstfigur gewesen, tatsächlich habe er sich in einer „Zwangsheirat“ mit dem Clanchef befunden. Die Biographie habe er selber nie gelesen. Eine erste Lüge, schließlich sprach er das tausendfach verkaufte Hörbuch selber ein.

Die Widersprüche will sich natürlich auch die Verteidigung der Abou-Chakers zunutze machen. Wäre es so wie geschildert, hätte er doch in all den Jahren mit irgendeiner Vertrauensperson über die Drohungen gesprochen, fragte etwa Verteidiger Michael Martens vor Gericht. Er habe nie jemandem die Wahrheit gesagt, antwortete Ferchichi. Weil er keine echten Freunde gehabt habe, denen er sich hätte anvertrauen können.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, lädt die Verteidigung für die nächsten Prozeßtermine nun Dutzende Personen vor, die in der Vergangenheit geschäftlich, aber auch privat mit Bushido zu tun hatten. So fügt sich eine illustre Zeugenliste zusammen. Vorgeladen sind nicht nur prominente Rapstars wie Farid Bang oder Kollegah, sondern auch Clanchefs anderer arabischer Großfamilien wie Ashraf Remmo.

Daß der Prozeß wie geplant im Januar beendet ist, wird immer unwahrscheinlicher. Auch die Kosten für diesen ausufernden Prozeß sind noch nicht abzusehen. Marcel Luthe, fraktionsloses Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, kann über die Angelegenheit nur den Kopf schütteln. „Im besten Fall versucht man hier, einen zivilrechtlichen Fall mit den Mitteln des Strafrechts zu klären – und im schlechtesten Fall nutzt hier ein Musiker die Ressourcen der Staatsanwaltschaft und die Personenschützer für Eigenwerbung auf Staatskosten“, sagt er gegenüber der JF.

Der FDP-Politiker ist sich sicher: „Die Organisierte Kriminalität in dieser Stadt ist ein gewaltiges Problem, von dem die Showveranstaltungen des Berliner Senats um sogenannte Clans, die nur einen kleinen Teil der OK ausmachen, prima ablenken. Korruption, Geldwäsche, Drogen- und Menschenhandel sind unendlich wichtiger als dieser Nachbarschaftsstreit um eine geworfene Plastikflasche.“