© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Die DDR im Rückspiegel
Von seinem Sender aussortiert: Uwe Steimle hat kurzweilige Geschichten und Anekdoten aufgeschrieben
Thorsten Hinz

Ende 2019 wurde dem Dresdner Kabarettisten Uwe Steimle von seinem Haussender, dem MDR, mitgeteilt, daß die Sendung „Steimles Welt“ – ein Markenzeichen der mitteldeutschen Dreiländeranstalt – nicht mehr fortgesetzt würde. Weil Steimle ein freier Mitarbeiter war, handelte es sich formal um keine Kündigung, aber ein Rausschmiß war es trotzdem. Als Grund wurde sein Mangel an Loyalität genannt. Dabei spielte auch ein Interview mit der JUNGEN FREIHEIT vom Sommer 2018 eine Rolle, in dem Steimle geäußert hatte, man dürfe nicht glauben, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatsfern sei. „Inzwischen weiß jeder, daß etwa Atlantikbrücke-Mitglied Claus Kleber der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD ist, zusammen mit seiner Marionetta Slomka.“ 

Der Vergleich hinkte etwas, denn der Chefkommentator des DDR-Fernsehens – auch Sudel-Ede geheißen – glänzte in seiner Propagandasendung „Der Schwarze Kanal“ mit perfider Sprachbrillanz, während es sich bei Kleber und Slomka bloß um schlichte Wortverdreher handelt. Doch die Richtung der Kritik stimmte und traf.

Steimles wiederholte Lästerei über die Staatshörigkeit und -abhängigkeit der Medien war nur der sprichwörtliche Tropfen im übervollen Faß. In seinem Wikipedia-Eintrag gibt es ein Extra-Kapitel „Kontroversen um Steimle“, in dem seine Sünden und Verstöße gegen die Politische Korrektheit zusammengetragen sind. Sogar über die Grenzöffnung 2015 hatte er gelästert und über Flüchtlinge, die Forellen aus dem Bach klauten oder in einer Kirche „hinter den Altar kacken“. Das Kapitel stützt sich auf Presse-Artikel und liest sich wie die Kurzfassung einer Stasi-Akte, die von Journalisten-IMs zusammengetragen wurde.

Von seiner Prägung her ist er ein Sozialist

Steimle hat die – auch Corona-bedingte – Zwangspause genutzt, um Texte für ein Buch zusammenzustellen, kurzweilige Geschichten, Anekdoten, Notate, die meisten zwei, drei oder vier Druckseiten lang. Darunter ein Brief an die MDR-Intendantin Karola Wille, in dem er ironisch gegen seine Suspendierung protestiert, auf die „großen und kleinen Gemeinheiten der selbsternannten Sehrgutmenschen“ verweist, auf den „Mechanismus, in dem Rechtfertigung nicht mehr möglich ist“, auf seine doch stets eingehaltene „Selbstverpflichtung“ zur Loyalität, nämlich: „Steimle beweist sich durch Taten, ab in die Produktion.“ Außerdem sei immer klar für ihn gewesen: „Es gilt, um das beste Ergebnis zu ringen.“ Das frühere SED-Mitglied Wille wird diese Sprache zu deuten wissen – es ist die Sprache der DDR-Staatspartei.

In Windeseile unterzeichneten Zigtausende Gebührenzahler eine Petition  für Steimle: „Wenn das Volk dies will, immerhin bezahlt es auch die Demokratieabgabe, dann sollte es das auch bekommen.“ Aber er weiß auch: „Ich fühle mich an meine Zeit in der DDR erinnert, da gab es sogar im Kabaretttheater einen Parteisekretär.“ Dieser Satz enthält die Essenz des Steimle-Humors: Er nutzt die DDR als Rückspiegel und macht die BRD darin kenntlich.

Er ist kein Rechter, nicht einmal ein Konservativer, sondern von seiner Prägung her ein Linker, ein demokratischer Sozialist, der statt der Wiedervereinigung eine bessere DDR wollte. „(...) nicht ich verließ das Land, das Land verließ mich.“ Er macht sich über die Revolutionslyrik lustig, der zufolge die Menschen mit Kerzen und Gebeten die Mauer zum Einsturz gebracht hätten. Aber was, wenn an Stelle des weichen Gorbatschow ein knallharter General in Moskau das Ruder in der Hand gehabt hätte? „Keine Kirche der Welt kann so viele Kerzen anzünden … Soviel zur Rolle der Kirche in der DDR in der Wendezeit.“ 

Auch ärgert er sich, daß belastende Akten immer nur aus den DDR-Archiven gezogen werden. Hatte die Bundesrepublik denn überhaupt keine Akten? „Am Ende kommt noch heraus, daß die Menschen aus der ehemaligen BRD gar keine besseren Menschen waren bis 1989?“ Aber, wie der Titel schon sagt – Steimle ist nicht nachtragend. Er fragt nach 30 Jahren Einheit, ob es das schon gewesen war.

Die Petition für ihn blieb ohne Wirkung

Weil kein anderer es tut, spottet er über die Ermittlungen gegen den sogenannten NSU, der heute zu den BRD-Transzendentalien zählt: Über den wundersamen späten Waffenfund im abgebrannten Haus, über den Wohnwagen, in dem die beiden Uwes sich entleibt haben sollen und über den „Sicherheitsexperten der CIA“, der am Tatort auftauchte, „(S)tand er Schmiere, Pate oder kam er nur zufällig vorbei?“

Die Corona-Pandemie, mit der so viele schwärende Krisen entschuldigt werden, kommentiert Steimle trocken: „Der unsichtbare Feind kam wie gerufen.“ Im Text „Maskerade“ stellt er zwei parallele Ereignisse gegenüber. Als in München eine Masken-Sendung aus dem autoritären China eintraf, nahm Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sie am Flughafen persönlich in Empfang. In Dresden ließ ein Einzelhändler in Eigeninitiative Masken anfertigen. In der kleinen Delegation, die sie an die Universitätsklinik überreichte, entdeckten „Qualitätsjournalisten der Sächsischen Zeitung auch einige Demokratiefeinde aus der AfD“, worauf die Klinikleitung sich umgehend von der Übergabe distanzierte.

Überhaupt, die investigativen, zivilcouragierten, unabhängigen Medien, sie haben es Steimle angetan. Im Wahlkampf des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) beobachtete er: „(U)nser Qualitätsjournalismus war täglich dabei. Michi beim Volk, bei der Polizei, Michi zum Anfassen, Michi grillt. Staatsfun für alle.“ Wenn er die Moderatoren der „Tagesthemen“ und des „Heute Journal“, Zamperoni und Kleber, „die Versenker freien unabhängigen Journalismus und die Chefs systemgefälliger Berichterstattung“ nennt, dann liest sich das wie ein Persönlichkeits- und zugleich Anforderungsprofil für den Job.

Die Sätze zum Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe in Dresden lassen Bitterkeit hochkommen: „Unsere Zivilgesellschaft hat die Diebe nicht integriert, deshalb müssen die sich ihren Lebensunterhalt auf diese perfide und gefährliche Weise verdienen.“ Der schlecht ausgerüstete, unmotivierte Wachdienst, der bloß zuschaute, handelte irgendwie staatstypisch: „Ich behaupte: Wenigstens ein Polizeiruf hätte in dieser Nacht drin sein müssen. Es galt, ein Schloß zu bewachen, keinen Getränkestützpunkt.“

Die Petition an den MDR blieb ohne Wirkung, was kein Wunder ist. Die „Demokratieabgabe“ wird nur so genannt, und was Demokratie ist, bestimmen die anderen. In Wahrheit ist es ein Kirchenzehnt zum Lobpreis unserer Gott-Kanzlerin. Der Brief an die Intendantin endet mit zwei Sätzen von Kurt Tucholsky: „Ein Satiriker ist ein gekränkter Idealist. Er will die Welt gut haben, er rennt gegen die Schlechtigkeit an.“ Manchmal stößt er sich die Stirn blutig. Wenn er es ernst meint, versucht er es, wie Steimle, trotzdem aufs neue.

Uwe Steimle: Wir sind nicht nachtragend … Neues und Altes vom Zauberer von Ost. Faber & Faber, gebunden, 192 Seiten, 20 Euro