© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Zwei Meldungen an einem Tag: „Fast ein Drittel der Deutschen glaubt an Verschwörungstheorien“ – „Über 90 Corona-Kundgebungen von Rechtsextremisten dominiert“.

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Der durch die Türkei provozierte Konflikt mit Griechenland hat auch eine historische Dimension. Deutlich wurde das spätestens, als Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Video über Twitter verbreiten ließ, in dem er den Sieg Sultan Alp Arslans über die byzantinischen Heere bei Manzikert am 26. August 1071 feierte. Die Schlacht war deshalb von entscheidender Bedeutung, weil sie den Ausgangspunkt der Unterwerfung Kleinasiens durch die Osmanen bildete, die 1453 in der Eroberung von Byzanz gipfelte. Damit nicht mißverstanden werden kann, auf welche Parallele Erdogan anspielt, kommen in dem Film Szenen vor, die die alte Fahne der Seldschuken und der Reiterheere der Vergangenheit direkt mit Bildern der heutigen Nationalflagge und der modernen Armee in Verbindung bringen. Erdogan benutzt außerdem den türkischen Begriff kizilelma, der übersetzt soviel wie „roter“ oder „goldener Apfel“ bedeutet und traditionell als Symbol für die Eroberung von Byzanz, dann von Wien und Rom beziehungsweise des christlichen Abendlandes galt. Gegen Ende des Films wird das Schiff gezeigt, das momentan auf der Suche nach Erdgasvorkommen in der Ägäis unterwegs ist. Erdogan grüßt es feierlich, und zuletzt sieht man ihn mit dem reich verzierten Bogen in der Hand, der zu den traditionellen Herrschaftszeichen der Sultane gehörte.

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Das italienische Luxus-Modelabel Gucci hat auf der diesjährigen Fashion Week in Mailand eine Reihe (ausgesprochen androgyn wirkender männlicher) Models in Kinderkleidchen auftreten lassen. Das war keine Geschmacksverirrung oder dummer Zufall, sondern der Beitrag des Unternehmens zur „Dekonstruktion von Männlichkeit“, exekutiert durch den Designer Alessandro Michele.

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Immer wenn ich über den Gemeinschaftsweg mit dem wuchernden Unkraut gehe, rufe ich mir das Weistum eines Schulkameraden in Erinnerung, eines Bauernsohns: „Was allen gehört, gehört keinem!“

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In der aktuellen Ausgabe der französischen Zeitschrift Eléments liefert Marie Chancel eine lesenswerte Zusammenstellung zur Doppelmoral des antirassistischen Großkapitals, das sich mit Bekundungen der Unterstützung von „Black Lives Matter“ überschlägt: Da wäre beispielsweise der erfolgreiche Lieferdienst Uber Eats, der bekannt ist für die Knebelung seiner Lizenznehmer, die oft illegale Einwanderer beschäftigen, der aber neuerdings erklärt, daß er bis zum Ende des Jahres allen Restaurants in Kanada und den USA die Gebühren erläßt, wenn sie im Besitz von Schwarzen sind. Bekannter ist der Sportartikelhersteller Nike, ein Unternehmen, das im Jahr 2018 nicht etwa wegen der notorischen Menschenrechtsverstöße, sondern wegen der Lohnhöhe seine Produktionsstätten in China geschlossen hat, um solche in Kambodscha und Vietnam zu errichten, wo die Durchschnittslöhne bei 45 bis 65 Prozent des Existenzminimums liegen. Die „Palme der Heuchelei“ möchte Marie Chancel allerdings dem Popstar Beyoncé verleihen: Sie brandmarkt zwar den Sexismus und Rassismus der Unterhaltungsbranche (der sie nicht hinderte, ungefähr 200 Millionen Alben zu verkaufen), aber sie verliert angesichts ihres Kampfes für Diversität und das Gute kein Wort darüber, daß diejenigen, die für ihre Modemarke Ivy Park in Sri Lanka schuften, mit 126 Dollar Lohn pro Monat nur etwas mehr als ein Drittel dessen verdienen, was zum Lebensunterhalt nötig ist.

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Selbst in den Qualitätsmedien wurde kritisch angemerkt, daß den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) die Bewältigung der AWO-Affäre und des daraus resultierenden Imageschadens (seine Ehefrau Zübeyde ist involviert) so sehr beschäftigt, daß ihm keine Zeit bleibt, die Verwahrlosung des Bahnhofsvorplatzes in den Griff zu bekommen. Nun ist das Phänomen an sich nicht neu, die Präsenz zwielichtiger Gestalten und die Expansion des Strichs auf der gegenüberliegenden Seite, am Eingang der Kaiserstraße, für jeden offen sichtbar, der etwa meint, hier auf kurzem Weg fußläufig in die Innenstadt gelangen zu können. Aber die Dreistigkeit und Aggressivität der Bettler, Süchtigen und Huren hat doch eine neue Qualität erreicht. Trotzdem gibt es von seiten der „Eingeborenen“ keinen Widerstand. Polizeipräsenz ist kaum spürbar, und wer nicht meint, daß diese Szene eben zur Mainmetropole gehört wie die Skyline der Bankhochhäuser, der schaut weg oder zuckt resigniert die Achseln. Die letzte Verteidigungslinie bilden offenbar die Laden- und Restaurantbesitzer in der Nähe des Hauptbahnhofs – kaum je biodeutscher Herkunft –, die im Zweifel entschlossen jeden verjagen, der ihre Kundschaft belästigt und so ihr Geschäft bedroht.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. Oktober in der JF-Ausgabe 41/20.