© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Umwelt
Auf ihrer Augenhöhe
Volker Kempf

Die passionierte Reiterin Judith Rakers verkündete in den diversen Boulevard-Medien, wieviel Spaß es ihr mache, nun auch Hühner zu halten. Ein paar Eier aus eigener Produktion, welch ein Wunder der Natur. Und diese Vögel verhielten sich sehr spannend, so die 44jährige „Tagesschau“-Sprecherin. Doch was macht diese Faszination aus? Die 20 Jahre ältere Mediengestalterin Silke Braemer, die in einem alten Winzerhof in Ihringen am Kaiserstuhl lebt, hat ein selbst illustriertes Buch über ihr Leben mit den gefiederten Mitbewohnern („Auf Augenhöhe mit Hühnern“, Parla-Verlag 2020) verfaßt. Die Eier sind Nebensache, das Studium des Verhaltens der Tiere machte ihr Freude – und diese haben die frühere Professorin der FH Mannheim offenbar als Teil der Herde akzeptiert: Der Mensch ist für sie auch ein Huhn. Ein unheilbar krankes Huhn darf mit in die Wohnung, um dort betreut zu werden. Es schaut aufmerksam Fernsehsendungen an, einige mag das Tier mehr, andere weniger.

Kein Grund, moralisch zu werden, doch diese Tiere sind mehr als nur dumme Hühner.

Wer hätte das gedacht? Und als das Huhn verstarb, war die Trauer groß. Braemers Mutter war Zoologin am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung in Seewiesen, wo Konrad Lorenz bis 1973 Direktor war. Sie schrieb ein Sachbuch über Katzen, nun also ein Buch der Tochter über Hühner. Und was hat der Medizin-Nobelpreisträger Lorenz mit seinen Studien über Graugänse nicht alles an neuen Sichtweisen in die Wissenschaft eingebracht? Aber wie geht es wohl den Hühnern in einer kommerziellen Intensivhaltung? Hier herrschen Effizienzkriterien vor. Kein Grund, moralisch zu werden, doch Tiere sind mehr als nur die sprichwörtlich dummen Hühner. Deshalb darf eine gewisse Wertschätzung auch etwas mehr kosten als das Ei oder das Suppenhuhn aus dem Discounter – von den in verarbeiteten Produkten steckenden Eier- und Hühnerbestandteilen ganz zu schweigen.