© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

„Es gibt eine Lösung“
Wer ist schuld an den katastrophalen Zuständen in Moria, und was ist nun zu tun? Deutschland antwortet darauf im Alleingang mit der Aufnahme von Flüchtlingen. Zwei konservatie EU-Abgeordnete widersprechen dieser „Lösung“ – die liege ganz woanders
Moritz Schwarz

Herr Fidanza, Deutschland nimmt nach dem Moria-Desaster insgesamt 1.700 Migranten aus Griechenland auf. Warum weigern sich außer Luxemburg alle anderen EU-Staaten, diesem Beispiel zu folgen? 

Carlo Fidanza: Ihre Regierung hat zu Recht klargemacht, nur echte Flüchtlinge aufzunehmen, also solche, deren Asylantrag bereits angenommen wurde. Und die Umverteilung solcher Flüchtlinge innerhalb der EU ist auch grundsätzlich richtig. Das mangelnde Vertrauen der anderen Staaten nun rührt allerdings vom Risiko her, ihre Türen illegalen Einwanderern zu öffnen, die eigentlich zurückgeführt werden sollten.

Deutschland betrachtet die Aufnahme als eine moralische Pflicht. Folglich handelt der Rest der EU unmoralisch?

Fidanza: Nun, die ist doch bei der Steuerung der Migrationsströme gescheitert, sie wußte nicht, ihre Außengrenze zu verteidigen und ließ sich von Erdogan und libyschen Clans einerseits und den Migranten andererseits erpressen. Die moralische Pflicht Europas besteht aber darin, seine Grenzen vor unkontrollierter Einwanderung zu schützen! Auch indem legale Einwanderungswege sichergestellt werden, für eine begrenzte Zahl Arbeitnehmer aus Drittstaaten, die wir verwalten und in unsere Gesellschaften integrieren können. Sowie Menschen Schutz gewähren, die wirklich vor Kriegen fliehen müssen. Denn das verlangt das Gesetz der Moral sowie etliche Verträge. 

Aktuell geht es aber um den Fall Moria: Es gibt Kritiker, die Deutschland vorwerfen, die EU-Partner mit seiner unilateralen Aufnahmepolitik moralisch zu erpressen.

Fidanza: Ach was, nein. Ich sehe mich nicht von Deutschland bedroht. Als Italiener glaube ich aber, daß Ihre Regierung, bevor sie anderen moralische Lehren erteilt, politische Prozesse anleiten sollte, um den Mechanismus zum Schutz der Außengrenzen zu stärken und Emigration aus Libyen und Tunesien zu verhindern. Und ich glaube, daß sie, die derzeit schließlich die Ratspräsidentschaft innehat, ein starkes Europa führt, das sich der Erpressung Erdogans nicht beugt! Der ja, dank der Initiative Angela Merkels, von der EU mehr als sechs Milliarden Euro erhalten hat und dennoch Migranten als Waffe nutzt, um politischen Druck auszuüben. Und schließlich meine ich, daß Deutschland den Schiffen der NGOs, die den Menschenschmuggel im Mittelmeer begünstigen, endlich seine Flagge entziehen sollte. 

Also wohnt dem deutschen Verhalten nun eine gewisse Doppelmoral inne oder nicht?  

Fidanza: Ich denke, daß das gar keine Frage der Moral ist. Vielmehr ist es eine ganz konkrete Frage, die einfach gelöst werden muß. Ich kenne ja das Gewicht, das der türkische Bevölkerungsanteil in Deutschland hat. Allerdings ist es dennoch nicht länger akzeptabel, daß Erdogan Deutschland und Europa erpreßt. Ihre Kanzlerin hat klar gesagt, daß niemand sich erpressen lasse. Sie hilft uns auch bei der Umsetzung eines Marineembargos zum Stopp der Boote, um dem Menschenschmuggel der NGOs entgegenzutreten sowie gemeinsam Rückführungen vorzunehmen. 

Also macht Berlin alles richtig und wiederholt nicht die Fehler von 2015, durch einen Alleingang die EU zu spalten, wie manche Kritiker meinen? 

Fidanza: Nun, die Entscheidungen 2015 waren sehr schlecht, und Frau Merkel war damals ja auch nach wenigen Wochen gezwungen, umzukehren. Heute erinnern sich die Deutschen und alle anderen Europäer noch gut an die Gewaltakte Tausender sogenannter Flüchtlinge. Und zweifellos sind viele weitere solcher Geschehnisse damals von den Behörden vertuscht wurden, um noch größere soziale Empörung zu vermeiden.

Die Frage war allerdings: Deutscher Alleingang 2015 und deutscher Alleingang 2020 – Wiederholung eines Fehlers und also nichts dazugelernt? Oder kann man damals und heute nicht vergleichen? 

Fidanza: Eine willkürliche Grenzöffnung ist grundsätzlich ein Fehler. Der deshalb auch nicht wiederholt werden darf. Nehmen wir aktuell Moria: Wie viele Syrer waren denn in diesem Lager, die wirklich vor dem Krieg geflohen sind? Ist es denn sinnvoll, Tausende von Migranten aus Afghanistan, Pakistan oder Bangladesch aufzunehmen, die sicherlich keine echten Flüchtlinge sind? Also, wir glauben das nicht. Ganz zu schweigen davon, daß auch Syrer, nun wo der IS fast ausgelöscht ist, ermutigt werden sollten, nach Hause zurückzukehren, statt sie in Europa zu verteilen.

Also, was schlagen Sie vor? 

Fidanza: Ohne eine Politik der Bekämpfung der illegalen Einwanderung riskieren wir, daß weitere Tausende Migranten, Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge zum Aufbruch nach Europa angestiftet werden. Wir, die Fratelli d’Italia, schlagen seit jeher eine Seeblockade im zentralen Mittelmeer vor, ähnlich dem Marineembargo, um den Nachschub an türkischen Waffen in Libyen zu stoppen. Das kann, anders als manche sagen, realisiert werden: Bereits ein paar Dutzend Marineeinheiten, italienische und europäische, würden ausreichen, um dieses Treiben zu stoppen, um Boote in der Nähe der libyschen oder tunesischen Hoheitsgewässer zu stoppen, Frauen und Kinder zu retten und die übrigen an ihre Ablegehäfen zurückzuführen. Zudem müssen Aufnahme- und Identifikationszentren auf afrikanischem Territorium eröffnet werden, die von internationalen Institutionen und der EU verwaltet werden und in denen festgestellt wird, wer wirklich ein Flüchtling ist und wer ein Wirtschaftsmigrant. 

In Deutschland hält man das allerdings für nicht praktikabel. Hier gilt die Devise, nicht einmal die Landgrenze sei zu sichern. 

Fidanza: Wollen wir wetten, daß sich bei diesen Maßnahmen keiner der letztgenannten mehr auf den Weg machen würde? Natürlich müßte zudem die Rückführungsrate gesteigert werden, was durch bilaterale Abkommen und europäische Interventionen möglich wäre. Zum Beispiel haben wir derzeit fast fünfzig Prozent Tunesier unter den Neuankömmlingen – keiner von ihnen ist ein echter Flüchtling! Wenn es nach uns ginge, müßten diese ohne zu zögern mit Militärschiffen zurückgeführt werden. Ohne erst lange auf Charterflüge zu warten, die teuer sind und mit denen nur eine geringe Anzahl Personen transportiert werden kann. Kurz gesagt: Es gibt Lösungen – bisher fehlte nur der politische Wille! 






Carlo Fidanza, der ehemalige Christdemokrat ist Vorstandsmitglied der konservativen ECR-Fraktion im Europäischen Parlament. Der Unternehmensberater, 1976 in den Marken geboren, gehört der italienischen Partei Fratelli d‘Italia an.


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