© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

„Keine Kinder – keine Zukunft“
Marsch für das Leben: Etwa dreitausend Lebensschützer demonstrieren in Berlin für das Recht der Ungeborenen/ Polizei hält Störer in Schach
Zita Tipold

Eine Teilnehmerin wischt sich die Tränen unter der Sonnenbrille ab. „Was für eine starke Frau“, sagt sie mit zitternder Stimme zu ihrer Freundin. Auf der Kundgebungsbühne des „Marschs für das Leben“ steht Ina Bronner und erzählt ihre Geschichte. 2018 erwartete sie voller Vorfreude ihr zweites Kind. Doch nach und nach stellte sich heraus, daß ihre ungeborene Tochter Hanna so krank war, daß sie kurz nach der Geburt sterben würde. „Wie soll ich die Schwangerschaft überstehen? Kann ich mein Kind wirklich beim Sterben begleiten?“ fragte sie sich damals voller Verzweiflung. Eine Abtreibung habe sich plötzlich so richtig angefühlt. 

Doch Bronner entschied sich dagegen – und plante gleichzeitig Geburt und Beerdigung ihrer Tochter, die sie eine Woche nach dem errechneten Entbindungstermin zur Welt brachte. „Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, vorher einzuleiten, weil ich jede Sekunde mit meiner Tochter genießen wollte“, betont sie. Bis heute sei es für sie die richtige Entscheidung gewesen. Geschichten wie diese sollen das Anliegen des Veranstalters, des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), deutlich machen: Die Würde eines jeden Menschen, geboren oder ungeboren, krank oder gesund, ist unantastbar. 

Um dem Ausdruck zu verleihen, haben sich am vergangenen Samstag rund 3.000 Personen, darunter Familien mit kleinen Kindern, Jugendliche, Politiker – wie Bundestagsmitglied Beatrix von Storch (AfD) – und Geistliche auf der Westseite des Brandenburger Tors versammelt. Die Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel und Philipp Amthor (beide CDU) sandten Grußworte. Berlins Erzbischof Heiner Koch leitete den Abschlußgottesdienst beim 16. „Marsch für das Leben“. 

Auf der Ostseite des Berliner Wahrzeichens findet eine Gegenkundgebung des „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ statt. Hunderte Unterstützer fordern die Abschaffung des Paragraphen 218, der Abtreibungen unter Strafe stellt. Mit lauter Musik versuchen sie, die andere Seite zu übertönen – erfolglos. Unter Einhaltung der Infektionsschutzregeln zieht der „Marsch für das Leben“ Richtung „Unter den Linden“. Aufgrund der Störaktionen von Gegendemonstranten im vergangenen Jahr hat die Polizei diesmal das Gelände rings um die Kundgebung abgesperrt. Das hält die Linksradikalen jedoch nicht davon ab, sich mit Rufen wie „Hätten eure Eltern abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“ bemerkbar zu machen. 

Frauen mit nacktem Oberkörper halten Schilder mit Aufschriften wie „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“ oder „Mein Körper, meine Entscheidung“. Immer wieder versuchen sie, zu provozieren, lehnen sich über die Absperrungen und schreien mit hochroten Gesichtern: „Eure Kinder werden genau wie wir“ oder „Abtreiben bis zum Volkstod“. Weil sie die Polizei bei ihrer Arbeit behindert haben, werden 19 Personen festgenommen. 

Zwei junge Frauen lassen sich davon gar nicht beirren und halten ihr Schild mit der Aufschrift „No children – No Future“ („Keine Kinder – Keine Zukunft“) weiter in die Höhe. Die beiden Schwestern sprechen sich für ein umfassendes Lebensrecht aus. Frauen in einer schwierigen Schwangerschaft sollen ihrer Meinung nach unterstützt, statt zu einer Abtreibung ermutigt werden. Die 21 Jahre alte Luisa hält die aktuelle Kompromißregelung, wonach Abtreibungen zwar verboten, nach einem Beratungsgespräch bis zur zwölften Woche aber straffrei sind, für fragwürdig. „Das Herz schlägt ab der sechsten Woche, wieso sollte ein Kind zu diesem Zeitpunkt weniger schützenswert sein als nach der zwölften Woche?“, so die Medizinstudentin. Ihre 15jährige Schwester Claudia widerspricht dem Vorwurf der Abtreibungsbefürworter, das verpflichtende Beratungsgespräch sei diskriminierend. „Man hilft den Frauen damit. Es macht deutlich, daß die Frauen eine Wahl haben.“ 

Dafür setzt sich auch die BVL-Vorsitzende Alexandra Maria Linder ein. Oft werde Frauen erst bei Beratungsgesprächen bewußt, daß sie ein heranwachsendes Kind in sich trügen. „Das sind keine Zellklumpen, und das ist auch kein Gebärmutterinhalt“, betont sie gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Die unantastbare Würde muß für alle gelten.“